Wyler, Leana
den Fingern zärtlich über seine Wange.
Seufzend legte ihr Vater den Bewusstlosen wieder auf dem Rücken ab.
„Susannah, das hat keinen Sinn, er blutet nach innen, er wird diese Verletzung nicht überleben.”
„Besorg eine Trage”, befahl sie, als hätte sie ihn nicht gehört, „wir bringen ihn hier raus.” Ihre Stimme war nun ernst und fest, sie wusste, was zu tun war.
„Hast du nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Er wird es nicht schaffen! Und außerdem: Die Leute vom Dorf werden uns niemals mit ihm ziehen lassen. Er wollte sie alle aufhängen und dich auch, erinnerst du dich?”
Es war weder die Zeit noch der Ort, um ihrem Vater den wahren Sachverhalt zu erklären. Aber sie war jetzt keinesfalls bereit, Eadric aufzugeben. Er musste einfach leben!
„Tu einfach, was ich sage”, befahl sie. „Und gib mir dein Hemd, das du unter der Weste trägst. Außerdem brauche ich die Schere und die großen Verbände. Ich schneide ihm die langen Haare ab, mache einen Kopfverband und zieh ihm einfache Gewänder an. Keine Menschenseele wird ihn erkennen, wenn wir ihn zu uns heimbringen!”
Ihr Verstand arbeitete wieder. Mit kühler Logik schmiedete sie Pläne für seine Rettung. Sie würde Eadric hier rausschaffen. Und dann in ihr Haus. Ihn dort gesund pflegen. Irgendwie würde es weitergehen. Musste es weitergehen. Jeder andere Gedanke war viel zu unerträglich, als dass sie diesen hätte zulassen können.
Das Kopfschütteln ihres Vaters machte sie zornig und seine Worte noch viel mehr.
„Susannah, du verrennst dich da in etwas. Er wird nicht…”
„Tu es!”, brüllte sie ihn an, zum ersten Mal im Leben.
Wortlos stand er auf, gab ihr sein altes Hemd und eilte nach draußen.
Sie nahm die Schere aus der Arzttasche und begann, Eadrics auffällige schwarze Haare abzuschneiden. Kaum hatte sie die Klingen am Nacken angesetzt, schlug er die Augen auf.
„Susannah“, hauchte er mit schwacher Stimme, als er sie erkannte.
Er war wach! Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
„Nicht sprechen!”, sagte sie. „Spar deine Kraft. Du brauchst sie noch für den Weg nach draußen.”
„Er hat mich erwischt mit seinem verfluchten Schwert“, keuchte er.
„Aber du lebst!“, erwiderte sie atemlos. „Und bist verbunden worden. Eadric, du wirst das schaffen. Ich bin doch hier!“
Er sah die Schere in ihrer Hand. „Willst du mir noch einmal irgendwo Haare abnehmen?”, flüsterte er. „Reicht die eine Rasur nicht?”
Eadric versuchte ein Lächeln, doch es misslang. Sie konnte sehen, dass er mit den Schmerzen rang. Und mit jedem verdammten viel zu langen Augenblick schwächer wurde. Wo blieb denn nur ihr Vater? Susannah fühlte, wie ihr die Zeit entglitt.
„Ich bring dich hier weg, Eadric, alles wird gut.”
Sie hätte sich am liebsten geohrfeigt, weil ihre Stimme zitterte. Sie musste doch Zuversicht ausstrahlen. Für ihn! Ihm zeigen, dass er bald gerettet wäre. Dass alles gut werden würde!
Er hob mit großer Anstrengung den Arm und nahm ihre Hand. Sein Griff war schwach, die Haut viel zu kühl.
„Ich denke nicht, dass ich es schaffen werde”, keuchte er und ein Hustenanfall erschütterte ihn.
Ihr Brustkorb war so eng, dass sie vor Schmerzen keine Luft bekam, alles in ihr schnürte sich zusammen.
„Natürlich schaffst du es, du sturer Bock”, fuhr sie ihn an und versuchte mit aller Macht, die Tränen hinunterzuschlucken und ihm ein Lächeln zu schenken.
Doch sein durchdringender Blick verriet ihr, dass er ihre Bemühungen durchschaut hatte.
Seine Hand umschlang die ihre, lange nicht so fest wie sonst, aber es gelang ihm, seine Finger in ihre zu verschlingen. Susannah blickte hinunter auf die beiden Hände. Hände, die zusammengehörten, die eins waren und immer sein würden, untrennbar, so wie ihre beiden Körper. Und ihre Seelen. Auf ewig.
„Susannah, eins muss ich noch wissen…” Sie sah, wie sehr das Sprechen ihn anstrengte, und beugte sich näher über ihn.
„War wirklich alles nur ein Spiel?”, fuhr er mühsam fort. „Hast du alles nur getan, weil ich dich dazu gezwungen habe?”
Er sah sie an. Lange.
In seinen Augen lag soviel Wärme und Verletzlichkeit, dass Susannah die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
„Nein”, flüsterte sie und strich ihm zärtlich über die Wange. „Alles war echt, Eadric. Alles.”
Sein Blick blieb in den ihren verschränkt. Der Hauch eines Lächelns erschien auf seinen Lippen, ein feines, dankbares, glückliches Lächeln. Eins, das sein Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher