Wyler, Leana
die Sache mit dem Grabstein für Eadrics Amme durchzusetzen. Aber es war besser, wenn er nicht Bescheid wusste. Außerdem würden sie sowieso nicht mehr lange hier im Dorf sein.
„Sir John wird nicht erfreut sein, wenn sein Bruder heimkehrt”, sagte Susannah. „Vor allem, da er sich geweigert hat, das Lösegeld zu bezahlen! Ich möchte nicht dabei sein, wenn die beiden aufeinander treffen.”
„John wird sich rechtzeitig davon machen”, erwiderte Eadric. „Und irgendwo an einem befreundeten Hof Unterschlupf suchen, feige, wie er ist.”
Der Arzt wandte sich ihm zu, was selten geschah. „Na dann könnt Ihr Euch glücklich schätzen, dass Ihr nicht bereits an Sir Johns Hof angekommen wart. Sonst hätte Euch das gleiche schändliche Schicksal ereilt, nicht wahr?”
Auf Eadrics Stirn bildete sich eine steile Falte.
„Vater, hör auf”, ging Susannah dazwischen. „Fehlt nur noch, dass du sagst, Robins Schwert in Eadrics Rücken war eine wunderbare Fügung!”
Sie streckte Eadric, der mühsam die Lippen aufeinander presste, ihren Arm entgegen. „Komm, wir gehen ein wenig raus in den Wald. Bei diesem Wind ist sicher niemand unterwegs und frische Luft wird dir gut tun.”
„Allerdings“, zischte er. „Hier lässt sich wahrlich nicht gut atmen!“
Noch ein wenig mühsam erhob er sich von seinem Stuhl, aber seine Schritte waren über die letzten langen Wochen sicherer geworden.
Als sie das Haus verlassen hatten, ließ Susannah ihre Hand in die seine gleiten. Er hielt sie fest.
Eine Stunde später waren sie zurück.
Eadric musste sich ausruhen und verschwand in ihrem Zimmer, während sie noch einige Dinge aufräumte.
Ihr Vater hatte offenbar schon darauf gelauert, sie alleine sprechen zu können.
„Susannah, überleg es dir noch einmal, du rennst in dein Unglück, da bin ich mir sicher!“
Immer wieder das gleiche Thema. Sie seufzte und wischte den Tisch ab, wo noch Eadrics geschnitzte Gerätschaften herumlagen, die sie irgendwo verkaufen würde.
„Du weißt doch ganz genau, dass er nicht hierbleiben kann”, sagte sie.
„Natürlich! Und ich preise den Tag, an dem er endlich verschwindet. Aber du, du musst nicht mitgehen! Hast du denn wirklich schon vergessen, wie er sich benommen hat in der ersten Zeit nach seiner Rettung, für die wir beide immerhin unser Leben riskiert haben?“
Wie hätte sie das vergessen können! Eadric war völlig überfordert gewesen mit der neuen Lage. Als er nach zwei Tagen endlich die Augen aufgeschlagen und sie ihm erklärt hatte, wo er sich befand, war er fürchterlich wütend geworden.
„Was soll ich hier?”, hatte er gekrächzt. „So will ich nicht leben, als Gefangener in einem Hinterzimmer, ohne Namen und Aufgabe. Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen, das wäre für alle Beteiligten die bei Weitem beste Lösung gewesen!”
Sogar das Essen hatte er verweigert. Und mehr als einmal den Becher mit Wasser durchs Zimmer geschleudert.
Sie hatte ihn verstehen können. Aber ihm das natürlich nicht durchgehen lassen. Inzwischen gewöhnte er sich langsam an den Gedanken, ein völlig anderes Dasein als bisher zu führen. So hoffte sie zumindest.
Ihr Vater sah sie immer noch abwartend an.
„Es ist ja auch eine Welt für ihn zusammengebrochen”, erklärte sie. „Er musste sich doch erst einmal in diesem neuen Leben zurechtfinden, immerhin hatte er alles verloren.“
Wütend unterbrach er sie. „Fängst du schon wieder an, ihn zu verteidigen? Er hatte doch von Anfang an keine Lust auf ein neues Leben!“
Susannah warf zornig das Handtuch auf den Holztisch. „Mein Entschluss steht fest, das weißt du auch. Wir brechen in den nächsten Tagen auf nach Oakfield. Ich nehme es einfach als Fügung des Schicksals, dass Marybeth mir ihr altes Haus vermacht hat. Obwohl ich mich immer noch frage, wieso sie auf mich kam.“
Der Arzt hatte nun wohl eingesehen, dass er am Entschluss seiner Tochter nichts mehr ändern konnte, denn seine Stimme wurde sanfter.
„Nun, du warst ihre beste Hebammenschülerin, da liegt es nahe, dass sie an dich als ihre Nachfolgerin denkt. Deine Frauen hier müssen eben mit mir vorlieb nehmen. Auch wenn mir der Gedanke überhaupt nicht gefällt, dass du zwei Tagesritte von hier entfernt bist. Mit ihm.“
Ein abfälliges Schnauben entfuhr ihm, dann fuhr er fort. „Womit soll er denn Geld verdienen?“
„Es wird sich schon etwas finden. Er ist sehr geschickt im Schnitzen. Vielleicht kann er bei einem Schreiner unterkommen. Oder auch bei
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