Xeelee 3: Ring
einmal mehr die Kleine Magellansche Wolke ausmachen.«
Der Himmel war düster und bedrückend. »Suprahet hatte recht, nicht wahr?« meinte sie. »Erinnere dich nur an die Projektionen, die sie uns in der Virtuellkuppel in New York zeigten, als sie uns rekrutierten.«
»Ja… geschrumpfte Sterne, erloschene Galaxien. Deprimierend, nicht?«
Sie lächelte. »Vielleicht. Aber der Himmel hat sich in ein Traumlabor für Astrophysiker verwandelt.«
»Aber es kann nicht sehr traumhaft für die Überlebenden des Sonnensystems gewesen sein, als diese Novae und Supernovae explodierten. Der Regen harter Strahlung und massiver Teilchen muß über Millionen Jahre angedauert haben…«
»Ja. Ein wirklich schwerer Regen. Er wird das ganze System sterilisiert haben…«
»…wenn zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch jemand am Leben war. Wofür wir noch den Beweis erbringen müssen. Gut, wir verfolgen noch immer unsere vier Spuren – die von der Sonne emittierte Maserstrahlung, die überaus seltsamen Gravitationswellen aus dem Sternbild des Schützen, das Artefakt im Eis, hier auf Callisto, und diese schwache Leuchtboje im Trans-Pluto-Raum… Aber hinsichtlich des Verständnisses dieser Spuren sind wir kein bißchen weitergekommen.«
»Ich kann den Wald sehen«, murmelte Seilspinnerin mit hochgeklapptem Visier.
Louise musterte die Lebenskuppel gründlicher und verstärkte die Abbildung mit Falschfarben – und tatsächlich konnte sie dort eine dünne Schicht irdischen Grüns oben in der Lebenskuppel entdecken, die lebendige Schicht, die durch das alternde Sonnenlicht dunkelgrüne Flecken aufwies.
Dieser Spielzeugwald, dachte sie plötzlich, ist wahrscheinlich das einzige Grün im ganzen Universum.
Absurderweise spürte sie, wie sich ihre Kehle zusammenschnürte; sie hatte Mühe, den Blick von diesem treibenden Partikel Heimat zu wenden.
Dann legte sich eine Hand auf ihren Arm, dessen Gewicht durch das dicke, steife Gewebe des Anzugs kaum zu spüren war. Seilspinnerin lächelte. »Ich weiß, wie du dich fühlst.«
Louise schaute durch das Visier auf diese merkwürdige Kindfrau mit ihrer glitzernden Brille und dem runden, kindlichen Gesicht.
Nachdem Seilspinnerins Vater das Interface zerstört hatte – und damit auch jede Möglichkeit, wieder nach Hause zu gelangen – hatte Louise Seilspinnerin und ihren Leuten eine AS-Behandlung angeboten. Und, als sie nun, nach fünfzig Jahren, Seilspinnerin betrachtete, fiel ihr der Gedanke schwer, daß sie jetzt kein Kind mehr, sondern eine fünfundsechzig Jahre alte Frau war.
»Ich bezweifle, daß du weißt, wie ich mich fühle«, erwiderte sie kühl. »Ich bezweifle es sogar sehr.«
Seilspinnerin musterte sie prüfend, wobei ihr bemaltes Gesicht hinter dem Visier ausdruckslos war.
Sie bestiegen wieder die Fähre.
Das kleine Schiff stieg auf eine Höhe von anderthalb Kilometern, ging dann in den Horizontalflug über und flog parallel zur Mondoberfläche. Louise schaute zurück. Ihre Landedüsen hatten einen breiten, flachen Krater in das Eis gestanzt; er entstellte eine Ebene, die sich glatt und konturenlos bis zum nahen Horizont erstreckte.
Louise saß auf ihrem Platz; umgeben von der unangenehm transparenten Wandung hatte sie den Eindruck – wie immer in solchen Booten –, direkt im Raum zu hängen. Unter ihnen war die Ebene von Callisto eine geometrische Abstraktion; über ihnen folgte die Northern geduldig den breiten, leuchtenden Ringen von Jupiter, ein Funken vor diesen glatten Bögen.
Die Hauptaktivitäten auf Callisto konzentrierten sich auf Morrows Ausgrabungsstätte auf der Rückseite des Mondes, der Jupiter zugewandten Seite. Der Zweck dieser Exkursion war primär eine generelle Erkundung, und außerdem sollte Seilspinnerin mehr Erfahrung bei der Bewegung außerhalb des Schiffes vermittelt werden, das Gefühl, auf einer Planetenoberfläche zu stehen – selbst, so dachte Louise, auf einer derart konturenlosen Oberfläche und unter einem so leeren Himmel, daß der Mond fast schon zu einer abstrakten Darstellung eines Planeten geworden war.
Außerdem wußte Louise, daß es auch ihr guttat, einmal das Schiff zu verlassen, das über so viele Jahrhunderte ihre Heimat, und ihr Gefängnis, gewesen war – und das, wenn nicht ein Wunder geschah, diese Funktion für sie und die anderen Menschen bis zum Ende ihres Lebens beibehalten würde.
Callisto war – war gewesen – Jupiters achter Mond, einer der vier großen Galileischen Satelliten. Zum Zeitpunkt des Starts der
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