Xeelee 3: Ring
abkühlende Zwerge, die aufgeblähten Hüllen von Riesen – manche groß genug, um sogar auf interstellare Distanzen als Scheibe zu erscheinen – und, hier und da, die Spuren von Trümmern, eine Handvoll Spinnennetze, die über den Himmel verstreut waren und die Positionen von Supernovae markierten.
Ein Grunzen ertönte, und ein diffuser Schatten fiel auf das Eis.
Louise drehte sich um. Seilspinnerin begab sich an einen langsamen, vorsichtigen Abstieg aus dem Boot und folgte ihr. Seilspinnerins kleiner Körper, der durch den Raumanzug füllig wirkte, wurde von den Lampen des Bootes konturiert. Vorsichtig setzte sie einen Fuß nach dem anderen auf das Eis und hielt die Arme dabei ausgestreckt.
Louise grinste Seilspinnerin an. »Du schaust lächerlich aus.«
»Oh, danke«, meinte Seilspinnerin sauer. Durch das leicht spiegelnde Helmvisier konnte Louise die Reflexe von Seilspinnerins Brille, die grelle Schminke und ihre weißen Zähne sehen. »Ich habe keine Lust, auf dieser Eiskugel von einem Mond herumzurutschen«, verteidigte sich Seilspinnerin.
Louise blickte nach unten und schabte mit dem Zeh auf der Oberfläche herum, wobei sie tiefe Kratzer verursachte. Im Eis konnte sie Störstellen erkennen: Schichtungen, Fäden und sternförmige Knoten, Unregelmäßigkeiten, die durch den Gefriervorgang zustande gekommen waren. »Das ist zwar Eis, aber es ist nicht völlig glatt.«
Seilspinnerin watschelte zu ihr hinüber und schniefte; das Geräusch war wie ein Kratzen in Louises Ohren. »Kann sein«, meinte Seilspinnerin. »Aber es ist viel glatter als vorher.«
»…Ja.«
»Schau«, sagte Seilspinnerin und machte eine Handbewegung. »Da kommt die Northern.«
Louise wandte sich um und sah pflichtschuldig nach oben. Die Northern, die ihrer stundenlangen Umlaufbahn folgte, stand sechzehnhundert Kilometer über der Oberfläche. Mit subvokalen Befehlen ließ sie ihr Visier das Bild verstärken. Das Schiff wurde zu einem entfernten Streichholz, das im Licht von Sol hellrot leuchtete; es wirkte unglaublich zerbrechlich, wie ein riesiges Spielzeug, dachte sie. Das Eis des Asteroiden, das für eine so lange Zeit die Reaktionsmasse bereitgestellt hatte, war ein dunkler, anonymer Klumpen, der jetzt kaum mehr zu sehen war, nachdem die große blaue Flamme des GUT-Triebwerks nach seinem tausendjährigen Einsatz erloschen war. Der Ausleger, mit seinen Verkrustungen aus Antennen und Sensoren, wirkte wie eine organische Entität, knochig und mit ausgebleichten Parasiten überzogen. Rotes Sonnenlicht stand wie Blut in den Antennenschüsseln. Noch immer mit dem Träger verbunden, waren die Trümmer des Wurmloch-Interfaces dermaßen verbogen, daß seine Tetraederform bis zur Unkenntlichkeit entstellt war, und das elektrostatische Funkeln seines aus exotischer Materie gefertigten Rahmens war erloschen.
Und die Lebenskuppel selbst – zerbrechlich wie eine Eierschale – thronte hoch oben auf diesem knochigen Ausleger, wie der Schädel eines Kindes. Der größte Teil der Kuppel war verdunkelt – blockiert, unzugänglich –, aber die oberen paar Decks waren noch hell erleuchtet.
Hinter diesen dünnen Wänden, so überlegte Louise, gingen zweitausend Menschen noch immer ihrem trivialen Tagewerk nach. Außer Louise und ihren engen Gefährten gab es nur sehr wenige in den fragmentierten Sozietäten der Lebenskuppel, die überhaupt wußten, daß die lange Reise der Northern schließlich beendet war.
»Wie sieht es dort unten bei dir aus?«
Sie zuckte zusammen. Die plötzliche Stimme in ihrem Ohr war rauh und überlaut gewesen – eine andere Schwachstelle dieses verdammten Anzugs.
»Mark, bei mir ist alles klar? Wie geht’s dir?«
»Was kannst du sehen? Was meinst du?«
»Hauptsächlich sehe ich das Innere dieses Helmvisiers. Hättest du es nicht säubern können? Ich habe den Eindruck, daß darin tausend Jahre lang etwas gelebt hat.«
Er lachte.
»Ich sehe die Sterne – oder das, was von ihnen übrig ist.«
»Ja.« Mark schwieg für einen Moment. »Ja. Es ist genauso, wie wir aus den dekomprimierten Rekonstruktionen während des Fluges geschlossen hatten… aber vielleicht nie geglaubt haben. Am ganzen Himmel bietet sich das gleiche Bild, Louise; wir haben keine Abweichungen gefunden. Es ist unglaublich. In den fünf Millionen Jahren unseres Fluges ist die stellare Evolution durch mindestens fünf Milliarden Jahre gepreßt worden. Und dieser Effekt beschränkt sich nicht nur auf diese Galaxis. Wir können dadurch nicht
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