Xenozid
vielleicht handeln, wie Jane es beschrieben hatte. Was geschähe, wenn eine Flotte gegen Weg losgeschickt würde? Wenn der Sternenwege-Kongreß ihr befohlen hatte, die ganze Welt ohne Verhandlungen zu vernichten? Dann würden ihre Berichte niemals bekannt werden, und alles war verloren. Es wäre alles umsonst gewesen. Konnte das der Willen der Götter sein? Konnte der Sternenwege-Kongreß das Mandat des Himmels haben und trotzdem eine Welt zerstören?
»Erinnere dich an die Geschichte von I Ya, dem größten Koch«, sagte Jane. »Sein Herr sagte eines Tages: ›Ich habe den größten Koch auf der ganzen Welt. Dank ihm habe ich jeden dem Menschen bekannten Geschmack gekostet, bis auf den von Menschenfleisch.‹ Daraufhin ging I Ya nach Hause, schlachtete seinen eigenen Sohn, kochte sein Fleisch und servierte es dem Herren, damit es seinem Herren an nichts mangelte, was I Ya ihm geben konnte.«
Das war eine schreckliche Geschichte. Qing-jao hatte sie als Kind gehört und danach stundenlang geweint. ›Was ist mit dem Sohn I Yas?‹ hatte sie gerufen. Und ihr Vater hatte gesagt, ein wahrer Diener hat Söhne und Töchter nur, um seinem Herren zu dienen. Fünf Nächte lang war sie schreiend aus Träumen erwacht, in denen ihr Vater sie lebend schmorte oder Scheiben von ihr abschnitt und auf einen Teller legte, bis Han Fei-tzu schließlich zu ihr kam, sie umarmte und sagte: »Glaube es nicht, meine ›Strahlend Helle‹ Tochter. Ich bin kein perfekter Diener. Ich liebe dich zu sehr, um fürwahr rechtschaffen zu sein. Ich liebe dich mehr als meine Pflicht. Ich bin nicht I Ya. Du hast von meinen Händen nichts zu fürchten.« Erst nachdem Vater dies zu ihr gesagt hatte, konnte sie schlafen.
Dieses Programm, diese Jane, mußte Vaters Bericht darüber in seinem Tagebuch gefunden haben und setzte ihn nun gegen sie ein. Doch obwohl Qing-jao wußte, daß sie manipuliert wurde, mußte sie sich unwillkürlich fragen, ob Jane vielleicht nicht doch recht hatte.
»Bist du ein Bediensteter wie I Ya?« fragte Jane. »Wirst du deine eigene Welt wegen eines unwürdigen Herren wie dem Sternenwege-Kongreß abschlachten?«
Qing-jao wurde sich nicht über ihre Gefühle klar. Woher kamen diese Gedanken? Jane hatte mit ihren Argumenten ihren Verstand vergiftet, genau wie zuvor Demosthenes – wenn sie nicht sowieso ein und dieselbe Person waren. Ihre Worte klangen überzeugend, auch wenn sie die Wahrheit verzehrten.
Hatte Qing-jao das Recht, das Leben aller Menschen auf Weg zu gefährden? Was wäre, wenn sie sich irrte? Wie konnte sie alles wissen? Ob alles, was Jane gesagt hatte, nun wahr oder falsch war, die gleichen Beweise würden vor ihr liegen. Qing-jao würde sich genauso fühlen, wie sie sich jetzt fühlte, ob nun die Götter oder irgendein Gehirnschaden diese Gefühle hervorriefen.
Warum sprachen in all dieser Unsicherheit die Götter nicht zu ihr? Warum fühlte sie sich nun, da sie die Klarheit ihrer Stimme brauchte, nicht schmutzig und unrein, wenn sie in die eine, und nicht sauber und heilig, wenn sie in die andere Richtung dachte? Warum ließen die Götter sie an diesem Scheitelpunkt ihres Lebens ohne Führung?
In die Stille von Qing-jaos innerlicher Auseinandersetzung kam, so kalt und hart wie Metall, das auf Metall trifft, Wang-mus Stimme. »Es wird nie geschehen«, sagte sie.
Qing-jao hörte einfach zu, unfähig, Wang-mu auch nur zum Schweigen anzuhalten.
»Was wird nie geschehen?« fragte Jane.
»Was du gesagt hast – daß der Sternenwege-Kongreß diese Welt sprengt.«
»Wenn du denkst, sie würden es nicht tun, bist du eine noch größere Närrin, als Qing-jao glaubt«, sagte Jane.
»Oh, ich weiß, daß sie es tun würden. Han Fei-tzu weiß es auch – er hat gesagt, sie wären böse genug, um jedes schreckliche Verbrechen zu begehen, wenn es in ihre Pläne paßt.«
»Und warum wird es dann nicht geschehen?«
»Weil du es nicht zulassen wirst«, sagte Wang-mu. »Da die Blockierung aller Verkürzer-Nachrichten von Weg zur Vernichtung dieser Welt führen könnte, wirst du diese Nachrichten nicht blockieren. Sie werden durchkommen. Der Kongreß wird gewarnt sein. Du wirst Wegs Zerstörung nicht veranlassen.«
»Und warum nicht?«
»Weil du Demosthenes bist«, sagte Wang-mu. »Weil du voller Wahrheit und Mitgefühl bist.«
»Ich bin nicht Demosthenes«, sagte Jane.
Das Gesicht im Terminaldisplay wurde durchsichtig und veränderte sich dann zu einem der Außerirdischen. Ein Pequenino, dessen Schweineschnauze in
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