Xenozid
Daß die Nachricht von Quims Tod ihn hart getroffen hatte, daß er in diesem Augenblick vielleicht nicht mehr normal war.
»Ich stehe dir nicht im Weg«, sagte Quara. »Nur zu. Schlag eine Frau nieder. Stoße einen Krüppel herum. Es liegt in deiner Natur, Grego. Du wurdest geboren, um zu zerstören. Ich schäme mich, zur gleichen Rasse zu gehören wie du, ganz zu schweigen von der gleichen Familie.«
Erst nachdem sie dies gesagt hatte, begriff sie, daß sie Grego vielleicht zu weit getrieben hatte. Nach all diesen Jahren der harmloseren Kämpfe zwischen ihnen hatte sie ihm diesmal eine blutende Wunde versetzt. Ihr Gesicht zeigte nackte Panik.
Doch er schlug sie nicht. Er trat um sie herum, um Miro herum, und blieb auf der Schwelle stehen, eine Hand am Türrahmen. Er drängte hinaus, als wolle er die Wände aus dem Weg schieben. Oder vielleicht klammerte er sich auch an sie, in der Hoffnung, sie könnten ihn an Ort und Stelle halten.
»Du wirst es nicht schaffen, daß ich wütend auf dich werde, Quara«, sagte Grego. »Ich weiß, wer mein Feind ist.«
Dann war er weg, aus der Tür hinaus in eine neue Dunkelheit.
Einen Augenblick später folgte ihm Miro schweigend.
»Was du dir auch vorlügen magst, Mutter«, sagte Elo, als sie zur Tür ging, »weder Ender noch sonst jemand hat unsere Familie heute abend hier zerstört. Du warst es.« Dann war sie ebenfalls fort.
Olhado stand auf und ging wortlos. Quara wollte ihm eine Ohrfeige geben, als er an ihn vorbeiging, ihn zum Sprechen bringen. Hast du mit deinen Computeraugen alles aufgezeichnet, Olhado? Hast du alle Bilder in deinem Gedächtnis gespeichert? Nun, sei nicht zu stolz auf dich. Ich habe vielleicht nur ein natürliches Gehirn, das diesen wundervollen Abend in der Geschichte der Familie Ribeira aufzeichnet, aber meine Bilder sind genauso klar wie deine.
Mutter sah Quara an. Ihr Gesicht war von Tränen gezeichnet. Quara konnte sich nicht erinnern – hatte sie Mutter je weinen gesehen?
»Also bist nur noch du übrig«, sagte Mutter.
»Ich?« entgegnete Quara. »Ich bin diejenige, der du den Zutritt zum Labor verbieten willst. Hast du das schon vergessen? Ich bin diejenige, der du ihr Lebenswerk nimmst. Erwarte nicht, daß ich deine Freundin bin.«
Dann ging auch Quara. Sie trat in die Nacht hinaus und kam sich gestärkt vor. Soll die alte Frau doch eine Weile darüber nachdenken. Mal sehen, ob es ihr gefällt, ausgeschlossen zu sein. Ich habe mich wegen ihr genauso gefühlt.
Vielleicht fünf Minuten später, Quara hatte das Tor schon fast erreicht, ließ der Glanz ihrer schlagfertigen Bemerkung nach, und sie begriff, was sie ihrer Mutter angetan hatte. Was sie alle ihr angetan hatten. Sie hatten Mutter alleingelassen. Ihr das Gefühl gegeben, daß sie nicht nur Quim, sondern ihre gesamte Familie verloren hatte. Es war schrecklich, ihr so etwas anzutun, und Mutter hatte es nicht verdient.
Quara drehte sich sofort um und lief zum Haus zurück. Doch als sie durch die Tür stürmte, betrat auch Ela gerade das Wohnzimmer, durch die andere Tür, durch jene, die tiefer ins Haus führte.
»Sie ist nicht hier«, sagte Ela.
»Nossa Senhora«, sagte Quara. »Ich habe so schreckliche Dinge zu ihr gesagt.«
»Das haben wir alle.«
»Sie hat uns gebraucht. Quim ist tot, und wir haben nur…«
»Als sie Miro schlug, war es…«
Zu ihrer Überraschung stellte Quara fest, daß sie weinte und sich an ihrer älteren Schwester festhielt. Bin ich also doch noch ein Kind? Ja, das bin ich, das sind wir alle, und Ela ist noch immer wie einzige, die uns zu trösten weiß. »Ela, war Quim der einzige, der uns zusammengehalten hat? Sind wir nun, da er tot ist, keine Familie mehr?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Ela.
»Was können wir tun?«
Als Antwort nahm Ela ihre Hand und führte sie hinaus. Quara fragte, wohin sie gingen, doch Ela wollte nicht antworten, hielt einfach ihre Hand und führte sie. Quara ging bereitwillig mit – sie hatte sowieso keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte, und es kam ihr irgendwie sicher vor, Ela einfach zu folgen. Zuerst dachte sie, Ela suche nach Mutter, doch nein – sie ging weder zum Labor noch zu einem anderen Ort, zu dem Mutter vielleicht geflüchtet war. Um so mehr überraschte es sie, wo sie schließlich endeten.
Sie standen vor dem Schrein, den das Volk von Lusitania in der Mitte der Stadt errichtet hatte. Der Schrein von Gusto und Cida, ihren Großeltern, den Xenobiologen, die als erste eine Möglichkeit gefunden hatten, den
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