Xenozid
trivialen Sache korrigiert zu werden. Nur, daß sie gar nicht so trivial war. Wenn der Bischof und der Bürgermeister annahmen, die Familie Ribeira sei unstabiler, als es in Wirklichkeit der Fall war, würden sie vielleicht das Vertrauen in Ela, Miro oder Novinha verlieren, die alle unbedingt gebraucht wurden, wollte Lusitania die kommenden Krisen überleben. Vielleicht wurden sogar die unreifsten von ihnen gebraucht, Quara und Grego. Sie hatten Quim, wahrscheinlich den besten von ihnen, bereits verloren. Es wäre töricht, nun auch noch die anderen zu verstoßen; doch wenn die Führer der Kolonie die Ribeiras als Gruppe falsch einschätzten, würden sie sie bald auch als Individuen falsch einschätzen.
»Gestern abend«, fuhr Bürgermeister Kovano fort, »zerstreute sich die Familie, und soweit wir wissen, sprechen ihre Mitglieder kaum noch miteinander. Ich habe versucht, Novinha zu finden, und erfuhr erst vor kurzem, daß sie Zuflucht bei den Kindern des Geistes Christi gesucht hat und niemanden sehen oder sprechen will. Ela sagte mir, ihre Mutter habe alle Dateien im Xenobiologie-Labor versiegelt, so daß die Arbeit dort heute morgen zu einem absoluten Stillstand gekommen ist. Quara ist, ob Sie es nun glauben oder nicht, bei Ela. Der junge Miro ist irgendwo außerhalb der Umzäunung. Olhado ist zu Hause, und seine Frau sagt, er habe seine Augen abgeschaltet, was seine Methode ist, sich vom Leben zurückzuziehen.«
»Das klingt ganz so«, sagte Peregrino, »als hätte sie Vater Estevãos Tod sehr mitgenommen. Ich muß sie aufsuchen und ihnen helfen.«
»Das alles sind völlig verständliche Trauerreaktionen«, sagte Kovano, »und wenn das alles wäre, hätte ich dieses Treffen nicht einberufen. Wie Sie sagen, Euer Gnaden, würden Sie sich als ihr geistlicher Führer darum kümmern, und meine Einmischung wäre nicht nötig.«
»Grego«, sagte Valentine, als ihr auffiel, daß er in Kovanos Liste nicht enthalten gewesen war.
»Genau«, sagte Kovano. »Seine Reaktion bestand darin, in gewisse Bars zu gehen und jedem halbbetrunkenen, paranoiden Fanatiker in Milagre zu erzählen, die Schweinchen hätten Vater Quim kaltblütig umgebracht.«
»Que Deus nos abencoe«, murmelte Bischof Peregrino.
»In einer Bar kam es zu einem Zwischenfall«, fuhr Kovano fort. »Zertrümmerte Fenster, zerbrochene Stühle, zwei Männer im Krankenhaus.«
»Eine Schlägerei?« fragte der Bischof.
»Eigentlich nicht. Nur allgemeiner Ärger, der sich Luft gemacht hat.«
»Also haben sie sich abreagiert.«
»Ich will es hoffen«, sagte Kovano. »Aber es schien erst aufzuhören, als die Sonne aufging. Und als der Polizist kam.«
»Ein Polizist?« fragte Valentine. »Nur einer?«
»Er leitet die Freiwillige Polizeitruppe«, erklärte Kovano. »Wie die Freiwillige Feuerwehr. Rundgänge von zwei Stunden. Wir haben einige Leute aufgeweckt. Zwanzig waren nötig, um die Dinge zu beruhigen. Die gesamte Truppe besteht nur aus fünfzig Mitgliedern, von denen normalerweise nur jeweils vier gleichzeitig Dienst tun. Für gewöhnlich verbringen sie die Nacht damit, herumzuspazieren und sich Witze zu erzählen. Und einige der gerade nicht diensttuenden Polizisten waren unter den Leuten, die die Bar zu Kleinholz geschlagen haben.«
»Wollen Sie damit sagen, daß man sich in einem Notfall nicht unbedingt auf sie verlassen kann?«
»Sie haben sich gestern abend einwandfrei verhalten«, erwiderte Kovano. »Diejenigen, die Dienst hatten, meine ich.«
»Aber einen wirklichen Aufstand können sie auf keinen Fall in den Griff bekommen«, sagte Valentine.
»Sie sind gestern abend damit fertiggeworden«, sagte Bischof Peregrino. »Heute abend wird der erste Schock nachgelassen haben.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Valentine. »Heute wird sich die Nachricht erst richtig verbreitet haben. Alle werden von Quims Tod wissen, und der Zorn wird um so heißer sein.«
»Vielleicht«, sagte Bürgermeister Kovano. »Aber mir bereitet der nächste Tag Sorgen, wenn Andrew die Leiche nach Hause bringt. Vater Estevão war gar nicht so beliebt – er ist nie mit den Jungs einen trinken gegangen –, doch er war eine Art geistliches Symbol. Ihn werden viel mehr Leute als Märtyrer rächen wollen, als ihm zu Lebzeiten gefolgt sind.«
»Sie meinen also, wir sollten uns auf ein kleines, schlichtes Begräbnis beschränken«, sagte Peregrino.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Kovano. »Vielleicht brauchen die Leute eine große Beerdigung, bei der sie ihre Trauer
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