Xenozid
niedrige Person wie mich nicht bitten.«
»Er wird sich freuen«, sagte Mu-pao.
Wang-mu schritt neben Mu-paos Esel aus. Sie gingen sehr langsam, was auch für Mu-pao und den Esel bequemer war.
»Ich habe ihn noch nie so aufgeregt gesehen«, sagte Mu-pao. »Wahrscheinlich sollte ich dir das nicht erzählen. Doch als ich sagte, daß du fort bist, wurde er fast verrückt.«
»Haben die Götter zu ihm gesprochen?« Es wäre bitter, falls Meister Han sie nur zurückrief, weil der Sklaventreiber in ihm es gefordert hatte.
»Nein«, sagte Mu-pao. »Es sah nicht so aus. Obwohl ich natürlich noch nie gesehen habe, wie es ist, wenn die Götter zu ihm sprechen.«
»Natürlich.«
»Er wollte einfach nicht, daß du gehst.«
»Wahrscheinlich werde ich letzten Endes doch gehen«, sagte Wang-mu. »Doch ich möchte ihm gern erklären, warum ich im Haus Han nun nutzlos bin.«
»O ja, natürlich«, sagte Mu-pao. »Du warst schon immer nutzlos. Aber das heißt nicht, daß du überflüssig bist.«
»Was meinst du damit?«
»Glück kann genausogut von nützlichen wie von nutzlosen Dingen abhängen.«
»Ist das der Spruch eines alten Meisters?«
»Es ist der Spruch einer alten, fetten Frau auf einem Esel«, sagte Mu-pao. »Und vergiß ihn ja nicht.«
Als Wang-mu mit Meister Han in dessen Zimmer allein war, zeigte er keine Spur der Erregung mehr, von der Mu-pao gesprochen hatte.
»Ich habe mit Jane gesprochen«, sagte er. »Sie glaubt, da du auch von ihrer Existenz weißt und überzeugt bist, daß sie nicht der Feind der Götter ist, sei es besser, wenn du bleibst.«
»Also werde ich jetzt Jane dienen?« fragte Wang-mu. »Soll ich ihre geheime Magd sein?«
Wang-mu wollte nicht, daß ihre Worte ironisch klangen; die Vorstellung, einer nichtmenschlichen Wesenheit zu dienen, faszinierte sie. Doch Meister Han reagierte, als wolle er eine Beleidigung glätten.
»Nein«, sagte er. »Du sollst gar keine Dienerin mehr sein. Du hast tapfer und würdig gehandelt.«
»Und doch habt Ihr mich zurückgerufen, damit ich meinen Vertrag erfülle.«
Meister Han senkte den Kopf. »Ich habe dich zurückgerufen, weil du die einzige bist, die die Wahrheit kennt. Wenn du gehst, bin ich in diesem Haus allein.«
Wang-mu hätte fast gesagt: Wie könnte Ihr allein sein, wenn Eure Tochter doch hier ist? Und bis vor ein paar Tagen wäre es auch nicht grausam gewesen, das zu sagen, denn Meister Han und Herrin Qing-jao waren so enge Freunde, wie es bei Vater und Tochter überhaupt der Fall sein konnte. Doch nun war die Barriere zwischen ihnen unüberwindbar. Qing-jao lebte in einer Welt, in der sie eine triumphierende Dienerin der Götter war, und versuchte, Geduld zu haben mit dem zeitweiligen Wahnsinn ihres Vaters. Meister Han lebte in einer Welt, in der seine Tochter und die gesamte Gesellschaft Sklaven eines unterdrückenden Kongresses waren und nur er die Wahrheit kannte. Wie konnten sie über einen so breiten und tiefen Abgrund auch nur noch miteinander sprechen?
»Ich bleibe«, sagte Wang-mu. »Ich werde Euch dienen, so gut ich kann.«
»Wir werden einander dienen«, sagte Meister Han. »Meine Tochter hat versprochen, dich zu unterrichten. Ich werde das fortsetzen.«
Wang-mu verbeugte sich, bis ihre Stirn den Boden berührte. »Ich bin einer solchen Freundlichkeit unwürdig.«
»Nein«, sagte Meister Hand. »Wir beide kennen jetzt die Wahrheit. Die Götter sprechen nicht zu mir. Dein Gesicht sollte vor mir niemals den Boden berühren.«
»Wir müssen in dieser Welt leben«, sagte Wang-mu. »Ich werde Euch behandeln wie einen geehrten Mann unter den Gottberührten, weil die ganze Welt es von mir erwartet. Und Ihr müßt mich aus demselben Grund wie eine Dienerin behandeln.«
Meister Hans Gesicht zuckte verbittert. »Die Welt erwartet auch, daß ein Mann meines Alters dem Geschlechtsgenuß frönen will, wenn er ein junges Mädchen aus den Diensten seiner Tochter in seine eigenen übernimmt. Sollen wir die Erwartungen der Welt erfüllen?«
»Es liegt nicht in Eurer Natur, Eure Macht auf diese Art und Weise auszunutzen«, sagte Wang-mu.
»Es liegt auch nicht in meiner Natur, deine Erniedrigung hinzunehmen. Bevor ich die Wahrheit über meinen Zustand erfuhr, akzeptierte ich den Gehorsam anderer Menschen, weil ich dachte, in Wirklichkeit brächten sie ihn den Göttern entgegen, und nicht mir.«
»Daran hat sich nichts geändert. Diejenigen, die glauben, daß Ihr gottberührt seid, bieten den Göttern ihren Gehorsam, während die
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