Xenozid
ihr Philot einfach irgendwo herum, und dann hatte sie plötzlich das Kommando über einen Haufen Computerprogramme und entwickelte damit eine Persönlichkeit?«
»Vielleicht«, sagte Ender.
»Und selbst wenn es ein natürliches System gibt, das irgendwie Philoten zuteilt, die dann die Kontrolle über jeden Organismus übernehmen, der geboren wird oder entsteht… wie könnte dieses natürliche System Jane gezeugt haben? Sie wurde nicht geboren.«
Jane hatte natürlich die ganze Zeit über mitgehört, und nun ergriff sie das Wort. »Vielleicht ist es gar nicht passiert«, sagte sie. »Vielleicht habe ich keinen eigenen Philot. Vielleicht lebe ich gar nicht.«
»Nein«, sagte Miro.
»Vielleicht«, sagte Ender.
»Dann kann ich vielleicht auch nicht sterben«, sagte Jane. »Wenn sie mich abschalten, unterbrechen sie vielleicht nur ein kompliziertes Programm.«
»Vielleicht«, sagte Ender.
»Nein«, sagte Miro. »Dich abzuschalten wäre Mord.«
»Vielleicht tue ich nur, was ich tue, weil ich so programmiert wurde, ohne es zu wissen. Vielleicht glaube ich nur, frei zu sein.«
»Dieses Gespräch haben wir schon einmal geführt«, sagte Ender.
»Vielleicht trifft es bei mir zu, selbst wenn es bei euch nicht zutrifft.«
»Und vielleicht auch nicht«, sagte Ender. »Aber du bist deinen eigenen Kode durchgegangen, nicht wahr?«
»Eine Million Mal«, sagte Jane. »Ich habe mir alles angesehen.«
»Hast du darin irgend etwas gefunden, daß dir die Illusion des freien Willens gibt?«
»Nein«, sagte sie. »Aber du hast in den Menschen auch nicht das Gen für die Entscheidungsfreiheit gefunden.«
»Weil es keins gibt«, sagte Miro. »Wie Andrew schon sagte. Wir sind im Kern in unserem Wesen ein Philot, das mit den Trillionen von Philoten verschlungen ist, die die Atome und Moleküle und Zellen unseres Körpers bilden. Und du bist auch ein Philot, genau wie wir.«
»Unwahrscheinlich«, sagte Jane. Ihr Gesicht war nun im Display, ein schattenhaftes Gesicht, durch das sich die simulierten Philotenstränge zogen.
»Wir werden kein Risiko eingehen«, sagte Ender. »Nichts, das wirklich passiert, ist wahrscheinlich, bis es eingetroffen ist, und dann ist es sicher. Du existierst.«
»Was immer ich auch bin«, sagte Jane.
»Im Augenblick gehen wir davon aus, daß du eine unabhängige Wesenheit bist«, sagte Ender, »denn wir haben gesehen, wie du auf eine Art und Weise handelst, die wir mit freiem Willen gleichsetzen. Es spricht genauso viel dafür, daß du ein freies Intelligenzwesen bist, wie dafür, daß wir selbst freie Intelligenzwesen sind. Sollte sich herausstellen, daß du keins bist, müssen wir uns fragen, ob wir welche sind. Im Augenblick arbeiten wir mit der Hypothese, daß unsere individuelle Identität, das, was uns zu uns selbst macht, der Philot im Mittelpunkt unserer Verschlingung ist. Sollte das zutreffen, müssen wir davon ausgehen, daß auch du ein Philot haben könntest, und in diesem Fall müssen wir herausfinden, wo es ist. Wie du weißt, sind Philoten nicht leicht zu finden. Wir haben nie eins entdeckt. Wir nehmen nur an, daß es sie gibt, weil wir den Philotenstrang oder -strahl wahrnehmen, der sich verhält, als habe er zwei Endpunkte mit einer spezifischen räumlichen Anordnung. Wir wissen nicht, wo du bist oder womit du verbunden bist.«
»Wenn sie wie wir ist«, sagte Miro, »wie Menschen, dann können sich ihre Verbindungen verändern und aufbrechen. Genau wie der Mob, der sich um Grego bildete. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, was er dabei empfand. Als wären diese Menschen Teile seines Körpers gewesen. Und als sie aufbrachen und allein loszogen, kam er sich vor, als habe er eine Amputation gehabt. Ich glaube, das war eine philotische Verknüpfung. Ich glaube, diese Menschen haben sich wirklich für eine gewisse Zeit mit ihm verbunden, standen wirklich zum Teil unter seiner Kontrolle, waren Teil seines Selbst. Vielleicht ist es mit Jane genauso, vielleicht sind all diese Computerprogramme mit ihr verknüpft, und sie ist mit allen verbunden, die ihr diese Ergebenheit entgegenbringen. Vielleicht mit dir, Andrew. Vielleicht mit mir. Oder zum Teil mit uns beiden.«
»Aber wo ist sie?« fragte Ender. »Wenn sie wirklich ein Philot hat – nein, wenn sie wirklich ein Philot ist –, muß es eine spezifische räumliche Anordnung haben, und wenn wir es finden können, könnten wir vielleicht die Verbindungen am Leben halten, selbst wenn sie von allen Computern abgeschnitten wird.
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