Yendi
Ich sah zu Cawti hinüber. Sie nickte. »Zwei«, setzte ich hinzu. »Wo ist Norathar?«
»Sie wird geprüft«, sagte Aliera.
»Oh. Das ist wohl ganz gut so.«
Eine von Alieras dünnen Augenbrauen zog sich in die Höhe. »Sie sollte nicht mithören?«
»Zumindest jetzt noch nicht.«
Als wir uns Sessel heranzogen, kam ein Diener mit Wein. Morrolan bevorzugte Schaumweine, mir dagegen sind solche Sachen ein Greuel. Aber weil er dies weiß, ließ er einen trockenen Weißen bringen, angenehm temperiert. Ich erhob mein Glas, trank einen Schluck und ließ das Getränk unter die Zunge fließen, während ich mir überlegte, wie ich Aliera am besten sagen konnte, was ich zu sagen hatte, und wie ich von ihr erfahren konnte, was ich wissen wollte.
Als sie keine Lust mehr zu warten hatte, sagte sie: »Ja, Vlad?«
Ich seufzte und platzte so gut es ging mit meiner Geschichte über die Attentatsversuche heraus, wobei ich nie mehr als nötig über meine Privatangelegenheiten preisgab und auch nie tatsächlich sagte, daß Cawti einen Mordanschlag auf mich zugegeben hatte. Aliera wußte es zwar, aber man kommt schwer gegen seine Gewohnheiten an.
Während ich sprach, wurden Morrolan und Aliera immer wachsamer. Ab und an tauschten sie Blicke. Ich endete mit der Bemerkung, daß mir kein Grund einfiele, warum Laris Norathars Tod wollen würde, aber keine andere Erklärung für alles fände. Ob sie vielleicht etwas wüßten?
»Nein«, sagte Aliera. »Aber das ist unwichtig. Und sobald ich ihn aufgespürt habe, ist es sogar noch unwichtiger.«
Morrolan hüstelte leicht. »Ich möchte vorschlagen, daß du, werte Cousine, zumindest abwartest, bis die Position der Lady Norathar bestätigt ist. Gegenwärtig bist du die Erbin, und der Rat heißt es wohl kaum gut, wenn Dragon sich mit Jhereg einlassen.«
»Na und?« blaffte sie. »Was werden sie mit mir machen? Mich für unwürdig befinden, Imperatorin zu sein? Laß sie doch! Außerdem wird Norathar ganz sicher bestätigt.«
»Wohl kaum«, entgegnete Morrolan. »Sie hat eine lange Geschichte der Verwicklung mit dem Jhereg.«
»Unter den gegebenen Umständen vollkommen gerechtfertigt.«
»Nichtsdestotrotz –«
»Nichtsdestotrotz ist es mir egal. Ich werde diesen Jhereg finden, und ich werde ihm Kierons Schwert zeigen. Du darfst mich gerne begleiten. Mich abzuhalten wäre ein Fehler.«
Sie stand auf und funkelte Morrolan an. »Nun?«
Ich wandte mich Cawti zu und erklärte in normalem Tonfall: »Mach dir keine Sorgen; das machen die ständig.« Sie kicherte. Weder Morrolan noch Aliera schienen mich zu hören.
Morrolan seufzte. »Setz dich, Aliera. Das ist doch Unsinn. Ich bitte dich lediglich darum, einen oder zwei Tage zu warten, bis wir die Ergebnisse der Konsultationen des Rates bezüglich Lady Norathar haben. Falls sie nicht Erbin wird, können wir dann darüber sprechen. Nichts wird gewonnen, wenn wir so mir nichts dir nichts nach draußen stürmen. Du hast doch gar keine Möglichkeit, ihn zu finden.«
Sie funkelte ihn noch etwas länger an, dann setzte auch sie sich. »Also gut, zwei Tage«, lenkte sie ein. »Höchstens. Dann werde ich ihn töten.«
»Ich helfe mit«, sagte Cawti.
Aliera wollte Einwände erheben, doch Cawti fiel ihr ins Wort. »Das ist schon in Ordnung«, meinte sie. »Ihr vergeßt, ich habe schon früher mit Dragonladies zusammengearbeitet. Es stört mich ganz und gar nicht.«
Cawti und ich nahmen Morrolans Gastfreundschaft in Form eines guten Essens gerne an. Dann entschuldigte ich mich und ging zum Nachdenken wieder in die jetzt verlassene Bibliothek.
Diese Sache mit Norathar, fand ich, war ja schön und gut, aber sie trug nicht dazu bei, daß ich Laris fand oder ihn mir zumindest vom Hals schaffen konnte. Cawti und Aliera konnten ja davon sprechen, ihn zu töten, aber finden konnten sie ihn ebensowenig wie ich, selbst wenn Aliera die Wahrheit gesagt hatte. Und warten konnte ich mir nicht leisten. Wenn das so weiterginge, wäre ich binnen Wochen aus dem Geschäft, und das war noch vorsichtig geschätzt.
Mir kam der Gedanke, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, in der ich einen Waffenstillstand vorschlug. Aber darauf würde er nicht eingehen. Und als ich an Nielars Leiche dachte, die im Schutt seines Hauses gelegen hatte, und an die Jahre, die ich mit Temek gearbeitet hatte und mit Varg, wußte ich, daß ich selber nicht darauf eingehen würde.
Was mich wieder auf Laris brachte und damit auf die großen Fragen: Wer hatte kurz vor seinem Tod
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