You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
sagte er mir, sei er so müde, dass er kaum die Beine anheben könne, um die Wendeltreppe emporzusteigen, die draußen zu seiner Zimmerflucht hinaufführte.
In Neverland hatte er später ein Tanzstudio mit Holzfußboden und verspiegelten Wänden. Die blankgescheuerten Stellen auf dem Fußboden zeigten, wo er seine Drehungen und Pirouetten geübt hatte. Seine Art zu tanzen hinterließ überall ihre unauslöschlichen Spuren.
Als wir uns für das erste Konzert der Tour in Kansas City einfanden, hatte sich die Schlammschlacht in der Presse verlagert: Nicht mehr Don King wurde jetzt mit Dreck beworfen, sondern Michael. Die Journalisten gierten nach allen Neuigkeiten, und ein Gerücht hielt sich beständig: Michael sei homosexuell. Diese Behauptung war schon in den Siebzigern aufgekommen, als irgendein Klatschblatt mit der Geschichte punkten wollte, dass er mit einer Frau um die Gunst eines Songwriters konkurriert habe. Das war damals ebenso kompletter Blödsinn wie zu jeder anderen Zeit in Michaels Leben, aber Mitte 1984 war er es einfach leid, dauernd die gleichen Fragen gestellt zu bekommen und die gleichen Andeutungen in der Presse zu lesen.
Er wusste, wie der Hase lief. Man fragte Michael, ob er ein Außerirdischer sei, und er bestritt das natürlich. Sofort folgte die Schlagzeile: „Michael Jackson: Ich bin kein Außerirdischer“. Und wenn man ihn fragte, ob er homosexuell sei, dann sagte er natürlich auch nein. Und die Schlagzeile lautete: „Michael Jackson: Ich bin nicht schwul.“ Und sofort fragte sich die ganze Welt, wieso er das überhaupt betonen musste.
Michaels Leben wurde eingerahmt von reißerischen Berichten. Deswegen entschied er sich später, gar nichts mehr zu sagen, und hoffte, die Musik werde für ihn sprechen. Aber damals in Kansas fragte ein Reporter, ob er auf das Gerücht, dass er schwul sei, irgendwelche Reaktionen erlebt habe. Michael wehrte die Frage ab, indem er sagte, er sei nicht homosexuell, wisse aber auch nicht, wieso sich die Leute so auf diese Kategorien versteiften. „Wir sind alle Menschen. Wieso regen sich überhaupt alle so darüber auf?“
Das war wohl nicht deutlich genug. Die Presse nahm diesen Kommentar auseinander und versuchte alles Mögliche hineinzuinterpretieren, ohne zu begreifen, dass Michael lediglich versucht hatte, seiner Verneinung die Schärfe zu nehmen und klarzustellen, dass er nichts gegen Homosexuelle habe. Er konnte einfach nicht gewinnen.
Ich fand die ganze Debatte über seine sexuelle Orientierung lächerlich – die Tatsache, dass er ein Workaholic war, wurde schlicht völlig falsch ausgelegt. Die Leute sahen einen unverheirateten, bartlosen Mann mit einer Vorliebe für Make-up, kindliche Vergnügungen und einer engen Beziehung zu einem Schimpansen und zogen ihre eigenen Schlüsse. Michael hatte außerdem keine Angst, seine weibliche Seite zu zeigen, und auch seine Stimme passte zu der Klischeevorstellung, wie sich ein schwuler Mann anhörte. Aber in unserer Familie hat niemand eine tiefe Stimme, und ich weiß, wie es ist, wenn man deswegen ausgelacht wird. Als ich gerade meinen Führerschein gemacht hatte, geriet ich in L.A. einmal in eine Polizeikontrolle. Als der Polizist meine Stimme hörte, lachte er und wandte sich an seine Kollegin: „Na, wer von uns beiden sollte denn die da durchsuchen?“
Michael sagte stets: „Meine Frau ist die Musik, ich bin mit meiner Kunst verheiratet.“ Genau deswegen hatte er solche Höhen erklommen. Aber er war darüber hinaus ein frommer Zeuge Jehovas und lebte sein Leben nach der Lehre der Bibel. Seine religiösen Überzeugungen führten dazu, dass er sich mehr Zwänge auferlegte als wir anderen. Michael sehnte sich danach zu erfahren, wie sich eine erfüllte Beziehung anfühlen mochte. Nach Thriller schien er weiter darauf zu warten, dass diese ganz besondere Frau eines Tages in sein Leben trat – eine Gefährtin, der er würde vertrauen können und von der er wusste, dass sie mit ihm und nicht mit „Michael Jackson“ zusammen sein wollte. Mit ihm, und nicht mit seinem Image.
Mein Bruder war in seinem Herzen ein Kind, und so sollte auch die Frau sein, die er eines Tages lieben würde. Ihm ging es nicht um Intensität, Leidenschaft und Dramatik. Ihm ging es um Spaß, um das Herumspritzen mit Wasserpistolen, Comic-Hefte und Filmabende. Er suchte nach einem Menschen, der wie er die Welt ein wenig besser machen wollte, der Krankenhäuser besuchte und das Leben mit den Augen eines Kindes betrachtete. So
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