You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
sicher um die hundert richtig schwere Betonsteine, die links vom Haus aufgeschichtet waren, und uns wurde aufgetragen, sie einen nach dem anderen auf die andere Seite zu schleppen. Eine völlig sinnlose Übung, aber wir hinterfragten sie nicht, wir taten, wie uns geheißen wurde. Wenn Joseph nach Hause kam, nahm er unsere Arbeit in Augenschein. Alle Steine hatten genau bündig auf den anderen zu liegen, so dass die Kanten eine gerade Linie bis zum Boden bildeten. „Nein … das macht ihr noch mal. Ich möchte, dass sie ordentlich aufgestapelt sind.“ Also schleppten wir sie von rechts zurück nach links, bis sie eben ordentlich lagen. Blasen, Schürfwunden und kleine Schnitte lehrten uns Disziplin, Perfektion und Teamgeist. Wie man alles richtig macht. Keine Fehler zulässt. Wenn einer aus der Gruppe patzt, dann kommen auch alle anderen aus dem Tritt, und es sieht nicht mehr gut aus. Wie sich zum Beispiel auch bei der Choreographie zeigte.
All das erklärt vielleicht, wieso einige von uns als Erwachsene Zwangsstörungen entwickelten. Wenn Michael in ein Zimmer kam und sah, dass ein Kissen „falsch lag“, dann rückte er es zurecht. „Das kann ich nicht mit ansehen“, sagte er dann lächelnd. Mir ging es genauso, und Rebbie auch. „Erinnert ihr euch an die Betonsteine?“, fragten wir uns dann und lachten uns kaputt.
Als dann Cassius Clay in der Boxszene von sich reden machte, diente er Joseph als hervorragendes neues Beispiel für seine Lektionen. Denn hier war ein neues Gesicht, ein Mann, dem keiner der Experten etwas zutraute, aber der dennoch ein unerschütterliches Selbstbewusstsein besaß. Während wir dem Kampf lauschten und der Kommentator uns die erste Runde schilderte, lieferten sich Michael und Marlon einen Schattenboxkampf. Sonny Liston schlug öfter daneben, als dass er traf. „Die Beinarbeit ist das Wichtigste“, erklärte Joseph. Mutter brummte leise vor sich hin, dass sie von einem so gewalttätigen Sport prinzipiell nichts halte, aber Joseph hörte nicht zu – er war viel zu sehr damit beschäftigt, den Radiobericht mit Blick auf unsere Ziele für uns zu übersetzen. „Sonny Liston ist wie euer Publikum – ihr müsst raus auf die Bühne, richtig explodieren und die Leute umhauen!“
An jenem Abend gewann Cassius Clay, und er war der jüngste Boxer, der je einem Schwergewichts-Champion den Titel abluchste. „Ich habe die Welt erschüttert“, erklärte er den Medien. Das traf wohl zu – auf seinen Auftritt im Ring, aber auch auf die Wirkung, die er auf ein paar Kinder in Gary, Indiana, hatte, von denen er gar nicht wusste, dass sie ihm die Daumen drückten.
Auf dem Rasen zwischen unserem Kinderzimmerfenster und der 23. Avenue stand ein Baum. Wenn Stürme oder sogar Tornados über Indiana hinwegfegten, dann saßen Michael und ich oft am Fenster und staunten, wie viel Kraft tatsächlich in ihnen steckte. Wir waren fasziniert davon, den Kampf zwischen Mutter Natur und den Muskeln unseres Baumes zu beobachten. Er bog und neigte sich, zuckte und duckte sich wie Ali, aber nie brach er auseinander oder kippte entwurzelt um. Für mich stehen diese starken Bäume für den Familienverband, und die Äste sind wie Kinder, die mit ihrem Leben in alle möglichen Richtungen wachsen. Aber sie alle gehören zum selben Baum und stammen aus derselben Saat, und sie stehen stets fest verwurzelt da, ganz gleich, bei welchem Wetter.
Irgendwann erzählte ich Michael von dieser Analogie, und er ließ sie auf eine Plakette schreiben, die er in Neverland aufhängte. Inspiriert war der Gedanke sicherlich davon, dass Joseph uns als Kindern gesagt hatte, dass die Wurzeln unserer Familie so tief und so verzweigt seien wie die eines Baumes. Eine intakte Familie war unseren Eltern, die beide aus schwierigen Verhältnissen stammten, sehr wichtig. Das endlose Tauziehen zwischen Josephs Vater und Mutter, das er so intensiv miterlebt hatte, wollte er auf keinen Fall selbst wiederholen. Mutters Eltern wiederum hatten sich scheiden lassen, nachdem sie von Alabama nach Indiana gezogen waren, und Mutter war bei ihrem Vater, Papa Prince, geblieben, während ihre Schwester Hattie mit Mama Martha ging. Mutter und Joseph hatten sich geschworen, die Familie stets zusammenzuhalten, und uns immer wieder gepredigt, dass wir uns von nichts und niemandem auseinanderbringen lassen dürften.
Bevor die Jackson 5 erstmals öffentlich auftraten, führte uns Joseph eines Tages im Herbst nach draußen, um uns eine letzte Lektion fürs
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