You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
und holte Eis, um seine gebrochene Hand zu kühlen. Die Kerle hatten ihm außerdem den Kiefer gebrochen. Er setzte sich auf die Ladefläche des Busses und versuchte sich zu sammeln. Dann sah er uns mit einem halb zugeschwollenen Auge an und erklärte: „Ich bin okay.“ Michael und Marlon sollten sich die Tränen abwischen: „So könnt ihr nicht raus auf die Bühne.“
„Wir sollen auftreten?“, fragte Jackie ungläubig.
„Die Leute sind gekommen, um euch zu sehen – sie erwarten euch da draußen“, sagte Joseph und stand mit einer demonstrativ federnden Bewegung wieder auf. „Ich gehe morgen früh zum Arzt.“ An jenem Abend mussten wir uns wirklich zusammenreißen, um uns auf unsere Show zu konzentrieren. Joseph sah uns zu, genau wie immer, kühlte seine Hand und hatte das Gesicht voller Pflaster. Damit vermittelte er uns, wenn auch unbeabsichtigt, noch eine wichtige Lektion: Ganz egal, was passiert – the show must go on .
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir nach der Schule Hausaufgaben machten. Wir aßen zu Abend, und dann bereiteten wir uns auf unsere Auftritte vor. Hausaufgaben wurden am Wochenende erledigt oder morgens im Bett hingekritzelt. Zu dieser Zeit wurde unsere Kindheit allmählich von Erwachsenenpflichten überschattet. Es gab immer eine neue Show, auf die wir uns vorbreiten, eine neue Choreographie, die wir einstudieren, oder eine neue Stadt, die wir erobern mussten.
Michael, inzwischen neun Jahre alt, musste schnell erwachsen werden. Genau wie wir alle. Wir hatten einen Beruf, während andere Kinder nichts anderes taten, als den ganzen Tag zu spielen. Aber wenn das nicht so gewesen wäre, hätten die Jackson 5 vielleicht nie den großen Durchbruch geschafft, und die Welt hätte niemals die Musik von Michael Jackson gehört. Es sollte nun einmal so sein. Und wir hatten Spaß bei unseren Auftritten: Wir freuten uns genauso darauf wie andere Kinder auf ihre Hobbys und Spiele.
Nachdem wir im Mr. Lucky’s und im Guys And Gals regelmäßige Auftritte absolvierten, kündigte Joseph seinen Job in der Konservenfabrik und übernahm im Stahlwerk nur noch Halbtagsschichten. Zwar waren unsere Gagen sicher noch nicht so üppig, aber er setzte weiterhin alles auf eine Karte. Er vertraute auf unsere Zukunft. Mutter machte sich natürlich große Sorgen, aber Joseph beruhigte sie immer wieder und versicherte, dass wir wirklich auf einem guten Weg seien. Sie nickte dann schweigend, und wie ich Mutter kenne, hatte sie viele schlaflose Nächte, in denen sie unablässig zu Jehova betete.
Was sie zumindest nicht von Anfang an mitbekam, war die Tatsache, dass in einigen der Läden, in denen wir spielten, auch Stripperinnen auftraten. Damals boten die Bars ein sehr vielseitiges Programm, und oft, wenn wir von der Bühne gingen, warteten schon ein paar halbnackte Ladys in Netzstrümpfen und Strapsen am Aufgang. Nun waren schon Weihnachten und Geburtstage in Jehovas Augen eine Sünde, aber wenn man sich die Bühne mit Nummerngirls teilte, dann kam es einer Verabredung mit dem Teufel gleich, und deshalb kann man es Joseph nicht verübeln, dass er Mutter über die Shows der anderen Künstler ein wenig im Unklaren ließ. Eines Tages aber war das Spiel aus, als Mutter nämlich ein verirrtes Strip-Accessoire in einer unserer Taschen fand. Sie marschierte aus unserem Zimmer und hielt eine hübsche Nippelquaste zwischen den Fingern. „ Wo kommt das her, bitteschön?“ Joseph war tatsächlich einmal sprachlos. „Du lässt die Kinder die ganze Nacht lang aufbleiben, obwohl sie morgens Schule haben, und dann lässt du sie auch noch nackte Frauen anschauen? Mit was für Leuten bringst du unsere Söhne zusammen! Du zeigst ihnen ja genau das richtige Leben, Joseph!“
Wir Brüder bewerteten diese Umstände recht unterschiedlich. Für mich ist der Körper einer Frau faszinierend und wunderschön, aber Michael dachte, dass diese Frauen sich erniedrigten, um Männer aufzugeilen, während sie selbst für die Männer lediglich Sexobjekte waren. Ihm blieb vor allem eine der Stripperinnen im Gedächtnis, der wir regelmäßig begegneten und die Rosie hieß. Sie warf ihre Höschen in die Menge und ließ ihre Rundungen wackeln, während die Männer sie anzugrapschen versuchten. Michael wandte dann stets den Blick ab. „Oh Mann! Das ist doch grässlich. Wieso macht sie sowas?“
Mutter sagte später, sie habe von den Stripperinnen erst aus Michaels Autobiografie erfahren. Das war vermutlich die „offizielle Version“
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