You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Horizont, in Gestalt eines Gitarristen namens Phil Upchurch, den wir nach einem Konzert in Chicago kennenlernten. Joseph erzählte uns ganz begeistert, dass Phil bereits mit Künstlern wie Woody Herman, Curtis Mayfield und Dee Clark gearbeitet habe. 1961 hatte er mit „You Can’t Sit Down“ eine Single veröffentlicht, die sich über eine Million Mal verkaufte. „Und er wird jetzt mit euch ein Demoband aufnehmen“, erklärte uns Joseph. Das war eine große Sache, denn Phil hatte eine Menge Einfluss in der Szene von Detroit, und wir sprangen herum, als ob Jackie gerade einen verbotenen Homerun geschafft hätte.
Michael löste sich aus unserer euphorischen Umarmung und umklammerte Phils Beine. „Könnte ich bitte ein Autogramm von Ihnen bekommen?“ Phil, der selbst gerade erst 25 war, zog ein Stück Papier aus seiner Jackentasche und kritzelte schnell seine Unterschrift darauf. Michael umklammerte seine Beute den ganzen Weg nach Hause wie einen kostbaren Schatz. An dieser Geschichte gefällt mir vor allem der Nachsatz: Mehr als zehn Jahre später schrieb Phil an Michael und bat ihn um sein Autogramm. Aber er bekam weit mehr als das – er wurde eingeladen, bei „Working Day & Night“ von Michaels erstem Soloalbum Off The Wall Gitarre zu spielen.
Doch damals, in Gary im Jahr 1967, machte sich Mutter vor allem darüber Sorgen, wer für das Studio und die Bandkopien zahlen würde. „Ich“, erklärte Joseph. „Die Sache kommt gerade in Schwung“, versicherte er ihr erneut.
Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht mehr genau daran, in welcher Reihenfolge nun alles Weitere geschah, aber es verhielt sich so: Phil Upchurch hatte denselben Manager wie die R&B-Musikerin Jan Bradley. Diese hatte 1963 mit „Mama Didn’t Lie“ einen Hit gelandet, und der Mann hinter dem Arrangement dieses Songs war der Saxophonist und Songwriter Eddie Silvers, der früher bei Fats Domino gespielt hatte und jetzt als musikalischer Leiter bei dem aufstrebenden Label One-derful Records arbeitete. Und so kam es, dass wir über Phil und Jan schließlich Kontakt zu Eddie bekamen, der dann den Song für unser Demo schrieb, „Big Boy“.
Ich vermute, dass Pervis Spann ebenfalls seine Finger im Spiel hatte, aber leider spielt mein Gedächtnis hier nicht mit. Ich weiß nicht mehr, wieso sich das Label One-derful letztlich dann doch nicht für uns interessierte, aber kurz darauf klopften Steeltown Records bei uns an, in Gestalt des Songwriters und Label-Mitbegründers Gordon Keith. Joseph war nicht einmal besonders begeistert, weil Keith ebenso wie er Stahlwerker von Beruf war und das Mini-Label erst ein Jahr zuvor gemeinsam mit dem Geschäftsmann Ben Brown aus der Taufe gehoben hatte. Der große Wurf schien das gerade nicht zu sein. Aber Keith wollte uns wirklich gern unter Vertrag nehmen. Mutter schildert die Geschichte so: „Er wollte euch langfristig an sich binden, aber Joseph sagte immer wieder: ‚Nein, wir haben so viele Angebote, das mache ich nicht.‘ Keith wollte euch aber so unbedingt auf seinem Label haben, dass er der kürzesten Vertragsdauer zustimmte – sechs Monate.“
Joseph betrachtete Steeltown zwar nie als Label, das wirklich etwas im Musikgeschäft bewegen konnte, aber er wusste, dass ein Plattenvertrag an sich erst einmal einige Vorteile mit sich brachte: Vor allem würden wir von den Lokalradios gespielt werden, wenn es erst einmal eine richtige Platte gab. „Big Boy“, unsere erste Single, erschien also 1967. Keith zufolge verkaufte sie sich im amerikanischen Mittelwesten und in New York um die 50 000 Mal. Wir wurden sogar unter den Top 20 der Musikzeitschrift Jet geführt. Aber der größte Augenblick kam für uns, als WVON Radio die Single zum ersten Mal spielte. Wir saßen alle um unser kleines Empfangsgerät herum und konnten es kaum glauben, dass das unsere Stimmen waren, die aus dem Kasten drangen. Es war ein bisschen so, als ob man ein Gruppenfoto in die Hände bekäme und zuerst das eigene Gesicht suchte und guckte, wie man aussieht. Genauso war das jetzt am Radio – wir lauschten unseren eigenen Stimmen in den Harmonien und den Oohs und Aahs des Begleitgesangs. Hier, in diesem Wohnzimmer, hatten wir die ersten Schritte unternommen, wir hatten verdammt hart gearbeitet, und nun erfüllte unsere Musik die Wohnzimmer von Gary und Chicago. Wir waren überwältigt.
Da wir uns fast nur noch auf die Shows konzentrierten, trat unsere Schulausbildung immer mehr in den Hintergrund. Es war nicht so einfach,
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