Young Sherlock Holmes 2
ziemlich sicher, in der Wildnis überleben zu können, ohne sich zu vergiften.
Eine halbe Stunde später näherten sie sich Holmes Manor, einem riesigen, ziemlich abweisend wirkenden Gebäude, das inmitten ein paar Morgen freien Landes stand. Oben im Dachgeschoss konnte Sherlock das Fenster seines Zimmers erkennen. Der kleine verwinkelte Raum mit Dachschräge war alles andere als komfortabel, so dass Sherlock abends nie auch nur die geringste Lust verspürte, ins Bett zu gehen.
Vor der Treppe zur Eingangstür stand eine Kutsche. Während sich das Pferd Heu aus einem Futtersack schmecken ließ, den man ihm um den Kopf gebunden hatte, ließ der Kutscher hin und wieder gelangweilt die Peitsche schnalzen.
»Besuch?«, fragte Crowe.
»Onkel Sherrinford und Tante Anna haben nichts davon erwähnt, dass heute jemand zum Lunch kommt«, sagte Sherlock und fragte sich, wer wohl mit der Kutsche gekommen sein mochte.
»Nun, in ein paar Minuten werden wir es wissen«, stellte Crowe fest. »Über Fragen zu spekulieren, deren Antworten einem jeden Augenblick auf dem Silbertablett serviert werden, ist reine Verschwendung geistiger Energie.«
Als sie an der Treppe angekommen waren, rannte Sherlock zur halb geöffneten Tür hinauf, während Crowe ihm mit bedächtigem Schritt folgte.
Die Eingangshalle lag zum großen Teil im Dunkeln. Die spärlich durch ein paar wenige Fenster dringende Sonne warf Lichtsäulen aus schwebenden Staubteilchen auf den Boden. Die Ölgemälde an den Wänden waren in der Finsternis kaum auszumachen. Fast physisch lastete die sommerliche Hitze auf dem Raum.
»Ich werde Bescheid geben, dass Sie da sind«, sagte Sherlock zu Crowe.
»Nicht nötig«, murmelte Crowe. »Wie es aussieht, ist man bereits informiert.« Mit einem Nicken wies er in die Dunkelheit unterhalb der Treppenflucht.
Aus den Schatten trat eine Gestalt hervor, von deren schwarzem Kleid und schwarzen Haaren sich die kalkweiße Haut in krassem Gegensatz abhob.
»Mr Crowe«, sagte die Hauswirtschafterin. »Ich gehe doch recht in der Annahme, dass wir Sie heute erwartet haben?«
»Weit und breit sprechen die Leute über die Gastfreundschaft von Holmes Manor«, erwiderte Crowe mit unbekümmerter Großspurigkeit. »Und über die großzügige Beköstigung, mit der vorbeikommende Reisende bedacht werden. Und außerdem, wie könnte ich die Gelegenheit ungenutzt lassen, Sie wiederzusehen, Mrs Eglantine?«
Sie schnaubte verächtlich, und unter ihrer scharf gebogenen, dünnen Nase kräuselten sich die Lippen. »Ich bin sicher, dass viele Frauen ihrem Kolonistencharme erliegen, Mr Crowe«, antwortete sie. »Aber ich gehöre nicht dazu.«
»Mr Crowe wird zum Lunch bleiben«, sagte Sherlock mit fester Stimme. Doch das Herz stockte ihm, als Mrs Eglantines Blick zu ihm wanderte.
»Das haben Mr und Mrs Holmes zu entscheiden«, entgegnete sie. »Nicht
Sie
.«
»Dann werde
ich
es ihnen eben sagen«, verkündete Sherlock. »Nicht
Sie
.« Er wandte sich wieder Crowe zu. »Warten Sie hier, während ich das kläre«, sagte er. Als er wenig später, ohne seinen Onkel oder seine Tante gefunden zu haben, zurückkehrte, war Mrs Eglantine wieder verschwunden.
»Irgendetwas an dieser Frau kommt mir seltsam vor«, murmelte Crowe. »Sie verhält sich überhaupt nicht wie eine Hausangestellte. Eher so, als wäre sie ein Mitglied der Familie. Als hätte sie hier das Sagen.«
»Ich weiß auch nicht, wieso Tante Anna und Onkel Sherrinford ihr das durchgehen lassen«, wunderte sich Sherlock. »Ich würde das jedenfalls nicht.«
Er ging zum Speisezimmer hinüber und warf einen Blick hinein. Die Dienstmädchen machten sich emsig am langen Büfetttisch zu schaffen und richteten Platten mit kaltem Fleisch, Fisch, Käse, Reis, eingelegtem Gemüse und diversen Brotsorten her, von denen sich die Familie bedienen konnte. Denn das war die übliche Art, wie das Mittagessen auf Holmes Manor eingenommen wurde. Aber Sherlocks Tante und Onkel waren nirgends zu entdecken. Sherlock ging wieder zurück in die Halle und blieb einen Augenblick lang unschlüssig stehen. Dann steuerte er auf die Tür zur Bibliothek zu und klopfte an.
»Ja?«, erklang von drinnen eine Stimme. Eine Stimme, die es gewohnt war, die religiösen Predigten und Ansprachen, die zu schreiben ihr Besitzer einen Großteil seines Lebens widmete, zunächst selbst zu deklamieren. »Herein!«, ertönte nochmals die Stimme von Sherlocks Onkel Sherrinford Holmes.
Sherlock öffnete die Tür. »Mr Crowe ist
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