Zähl nicht die Stunden
spät.
Und im letzten Monat hatte Mattie plötzlich den Gedanken an ein
zweites Kind ins Spiel gebracht, hatte diesen Gedanken in ein völlig belangloses Gespräch einfließen lassen und ihren Wunsch hinter falscher Gleichgültigkeit zu verstecken gesucht, indem sie so tat, als wäre es nur so eine Idee und nicht etwas, das sie Tag und Nacht beschäftigte. In diesem Moment war ihm klar geworden, dass er nicht mehr warten
konnte , weil er sonst wieder in der Falle sitzen würde. Er musste Mattie sagen , dass er sie verlassen würde.
Aber er hatte es nicht gesagt , und jetzt bestand durchaus die Möglichkeit, dass er es zu lange hinausgeschoben hatte. Vielleicht war sie bereits schwanger , und ihr unmögliches Verhalten heute Morgen war darauf zurückzuführen, dass ihre Hormone verrückt spielten. »Bitte
nicht«, sagte er unwillkürlich laut. »Bloß das nicht!«
»Bloß was nicht?«
Er sah auf, als er ihre Stimme hörte, und hielt ihr seine Hand
entgegen. Prickelnde Erregung durchschoss ihn, als sie ihre Finger
zwischen die seinen schob. Was zum Teufel! Was machte es schon aus,
wer sie zusammen sah! Außerdem war der Saal leer. Es war leicht, kühn zu sein.
»Das war deine Frau, richtig?«, fragte sie mit ihrer dunklen, rauchigen Stimme.
Sie setzte sich auf den Stuhl des Angeklagten und lehnte sich an ihn, sodass ihre dichten roten Locken seine Wange streiften. Erst gestern Nacht hatte er seine Finger in diese glänzenden Locken geschoben und sich von ihrer Weichheit betören lassen. Sie hatte ihn angesehen mit diesem wunderbar warmen Lächeln, das ihr ganzes Gesicht erleuchtete und den schiefen Zähnen, die sich am unteren Rand der leicht
geöffneten Lippen zeigten, alles Hässliche nahm, sie nur liebenswert erscheinen ließ. Was war nur das Unwiderstehliche an ihr?
Wie die teure Seidenbluse und die verblichene Blue Jeans, die sie geschickt kombiniert hatte, war vieles an Honey Novak gegensätzlich und doch zugleich irgendwie harmonisch. Ihr Haar war rot und lockig, aber ihre Augenbrauen waren eigensinnig schwarz und gerade. Ihr Busen war zu groß im Verhältnis zu ihrem sonst eher mageren Körper, ihre
Beine waren zu lang in Relation zu ihrer Körpergröße von unter einem Meter sechzig, und durch die etwas schiefe Nase wirkte ihr Gesicht ein wenig unausgewogen. Sie war wahrhaftig keine Schönheit im
landläufigen Sinn und mit ihren vierunddreißig Jahren auch nicht mehr blutjung. Objektiv betrachtet war seine Frau die attraktivere von beiden.
Aber Matties sonnige , frische amerikanische Schönheit hatte ihm immer irgendwie Angst gemacht. Sie gab ihm das Gefühl, ein Blender zu sein.
»Ja, das war Mattie«, bestätigte er.
Honey sagte nichts. Das war so ihre Art; sie sprach selten, wenn sie nichts zu sagen hatte. Sie hatten sich vor einigen Monaten in dem
Fitness-Studio in der Nähe seiner Kanzlei kennen gelernt. Er war auf dem Laufband und legte flotte 7 km/h hin; sie joggte nebenan und legte das beeindruckende Tempo von 11,5 km/h vor, wie der Tacho an ihrem
Gerät anzeigte. Er machte ein wenig oberflächliche Konversation und sie ging mit einem gelegentlichen Lächeln und einem kurzen »Hm« hier und da darauf ein. Nach ein paar Wochen lud er sie zu einer Tasse Kaffee ein, und sie nahm an, obwohl sie wusste, dass er verheiratet war. Es war ja nur eine Tasse Kaffee. In den folgenden Wochen wurde aus der Tasse Kaffee ein opulentes Abendessen, und in der Woche darauf war das
Abendessen nur noch Vorspiel zu einer leidenschaftlichen Nacht im
Ritz-Carlton-Hotel. Es war die erste von vielen, nur der Schauplatz verlagerte sich sehr bald in ihre leicht chaotische Wohnung in Lincoln Park.
Er hatte sich nicht ernsthaft verlieben wollen. Eine Liebesbeziehung war das Letzte, was er brauchte. Es gab Komplikationen genug in seinem Leben. Ein nettes Abenteuer, ja, so bedeutungslos wie flüchtig – auf mehr meinte er sich nicht eingelassen zu haben.
Bei Honey war es ähnlich gewesen, wie sie ihm später sagte. Frisch geschieden und aus eigener Entscheidung kinderlos, arbeitete sie als freiberufliche Autorin und war gerade dabei, einen Roman zu schreiben.
Nebenbei kümmerte sie sich um zwei störrische Katzen, die ein Nachbar im Haus bei seinem Umzug herrenlos zurückgelassen hatte. Sich
ausgerechnet in einen verheirateten Mann zu verlieben, sagte sie eines Abends zu ihm, als sie im genialen Durcheinander ihrer Wohnung nackt neben ihm lag, zu ihren Füßen die Katzen, die mit ihren Zehen spielten , das
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