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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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über Mund und Ohren zusammen
    und blendete die Geräusche des Morgens aus. Kein Hundegebell aus
    benachbarten Gärten mehr, kein Vogelgezwitscher aus den Bäumen,
    kein ungeduldiges Hupen von der Straße. Alles war still und friedlich.
    Keine untreuen Ehemänner, keine Teenager, die alles ganz genau wissen wollten. Wie macht sie das nur, fragte sich Mattie. Ihre Tochter schien ungeheuer feine Antennen zu haben. Mattie hatte ihr kein Wort davon gesagt, dass sie Jake wieder einmal bei einem Seitensprung ertappt hatte.
    Sie hatte auch mit sonst keinem Menschen darüber gesprochen, weder
    mit ihren Freundinnen noch mit ihrer Mutter oder Jake. Beinahe hätte sie gelacht. Wann hatte sie sich zum letzten Mal ihrer Mutter anvertraut?
    Und was Jake anging, so war sie einfach noch nicht bereit, ihm in einer Auseinandersetzung gegenüberzutreten. Sie brauchte Zeit, um alles
    gründlich zu überlegen, ihre Gedanken zu sammeln wie ein
    Eichhörnchen die Nüsse für den Winter, um für die Entscheidung, die
    sie schließlich fällen, den Weg, den sie wählen würde, gewappnet zu sein.
    Sie öffnete unter Wasser die Augen und schob sich das kinnlange
    dunkelblonde Haar aus dem Gesicht. Ganz recht, mein Kind, sagte sie sich, es ist Zeit, die Augen zu öffnen. The time for hesitating’s through, meinte sie Jim Morrison singen zu hören. Come on, baby, light my fire.
    Wollte sie wirklich darauf warten, bis jemand ihr Feuer unterm Hintern machte? Wie viele Hotelrechnungen musste sie noch finden, ehe sie
    endlich etwas unternahm? Es war Zeit zu handeln. Es war Zeit, gewisse unbestreitbare Fakten ihrer Ehe einzugestehen. Meine Damen und
    Herren Geschworenen, ich möchte diese Hotelrechnung als Beweis
    vorlegen.
    »Ach, zum Teufel mit dir, Jason Hart«, prustete sie nach Luft
    schnappend, als sie mit dem Kopf die Wasseroberfläche durchstieß. Der Vorname ihres Mannes lag ihr fremd auf der Zunge, denn sie hatte ihn, seit sie einander vor sechzehn Jahren vorgestellt worden waren, immer nur Jake genannt.
    Light my fire. Light my fire. Light my fire.
    »Mattie, ich möchte dich mit Jake Hart bekannt machen«, hatte ihre
    Freundin Lisa gesagt. »Du weißt schon, er ist ein Freund von Todd, von dem ich dir erzählt habe.«
    »Jake«, wiederholte Mattie, der der Klang gefiel. »Ist das eine
    Kurzform von Jackson?«
    »Von Jason. Aber so nennt mich kein Mensch.«
    »Nett, dich kennen zu lernen, Jake.« In der Erwartung, dass gleich
    einer der ernsthaft Beschäftigten hier aufspringen und sie mit einem
    »Pscht« zum Schweigen bringen würde, sah sie sich im Hauptsaal der
    Bibliothek der Loyola Universität um.
    »Und was ist mit Mattie? Heißt du in Wirklichkeit Matilda?«
    »Martha«, gestand sie verlegen. Wie hatte ihre Mutter ihr nur einen so altmodischen und biederen Namen anhängen können? Er hätte weit
    besser zu einem ihrer geliebten Hunde gepasst als zu ihrer einzigen Tochter. »Aber nenn mich bitte Mattie.«
    »Gern. Ich darf dich doch mal anrufen?«
    Mattie nickte, den Blick auf den Mund des jungen Mannes gerichtet,
    dessen volle Oberlippe über der schmäleren Unterlippe leicht vorsprang.
    Es war ein sehr sinnlicher Mund, fand sie und stellte sich vor, wie es wäre, diesen Mund zu küssen, diese Lippen auf den ihren zu fühlen.
    »Oh, entschuldige«, stotterte sie. »Was hast du eben gesagt?«
    »Ich sagte, dass ich gehört habe, dass du im Hauptfach
    Kunstgeschichte studierst.«
    Wieder nickte sie und zwang sich, ihm dabei in die blauen Augen zu
    blicken, die etwa die gleiche Farbe hatten wie ihre eigenen. Aber seine Wimpern waren länger als ihre, und das fand sie unfair. Oder war es etwa gerecht, dass ein einziger Mann so lange Wimpern und einen so
    sinnlichen Mund mitbekommen hatte?
    »Und was tun Kunsthistoriker genau?«
    »Frag mich was Leichteres«, hörte Mattie sich antworten, ihre Stimme eine Spur zu laut, sodass diesmal tatsächlich jemand »Pscht!« zischte.
    »Hast du Lust auf eine Tasse Kaffee?« Er nahm sie beim Arm und
    führte sie aus der Bibliothek, ohne auf ihre Antwort zu warten, als gäbe es überhaupt keinen Zweifel daran, wie ihre Antwort ausfallen würde.
    Und sie bestätigte ihn in seiner Selbstgewissheit, auch später, als er sie ins Kino einlud und dann in seine Wohnung, die er mit mehreren
    Kommilitonen von der juristischen Fakultät teilte, und schließlich in sein Bett. Danach war es zu spät. Keine zwei Monate nach diesem ersten
    Abend, zwei Monate, nachdem sie sich mit Wonne von diesem

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