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Zaehme mich

Zaehme mich

Titel: Zaehme mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Maguire
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Oberkörper zu, um ihr direkt ins Gesicht zu blicken. »Ich habe sie darauf hingewiesen, dass es für ein Mädchen deines Alters ganz normal ist, romantische Gedichte und Romane zu lesen. Sie hat geantwortet, wenn es nach ihr ginge, würdest du deine Zeit nicht in meinem Unterricht verschwenden. Wenn es nach ihr ginge, würdest du dich nicht mit Wischiwaschi-Ideen wie Dekonstruktivismus und Ethnozentrismus beschäftigen und dich auch nicht ständig über Dinge wie Ausdruckskraft und Interpretation auslassen. Ihrer Meinung nach wäre es meine Aufgabe gewesen, dir die Fähigkeit zu einer klaren, knappen Artikulationsweise in Wort und Schrift zu vermitteln und sonst gar nichts.«
    Seine Stimme war herrlich, aber sie wollte, dass er endlich aufhörte zu reden. Sie wollte, dass er sie küsste, sie berührte und ihr mit seinem Körper sagte, dass sie viel besser war als jede andere Frau.
    »Als sie weg war, konnte ich nur noch daran denken, wie empfänglich du warst. Ein Mädchen mit so viel Sensibilität für die Welt und mit so einer hartherzigen Mutter musste offen für jeden sein, der ihr auch nur die geringste Zuneigung bewies.«
    Sarah schnürte es die Kehle zu. Sie wollte ihn zum Schweigen bringen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie hustete sich frei und hielt die Hand hoch, um ihn zu unterbrechen.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja, mir geht’s gut. Kannst du mal eine Minute den Mund halten, bitte?«
    »Okay.« Nach einer Weile fuhr er fort. »Ich wollte dir nur klar machen, dass ich das mit deiner Mum verstehe.
    Ich verstehe, dass du sie wegen ihrer Kälte hassen musst.
    Aber du könntest es auch so sehen wie ich. Wenn sie nicht so distanziert und lieblos gewesen wäre, hätte ich dich nicht so leicht rumgekriegt.«
    Irgendetwas in ihr löste sich, und sie brach in Tränen aus. Daniel ging vor ihr in die Hocke, das Gesicht in besorgte Falten gelegt. »Jetzt habe ich dich zum Weinen gebracht. Das tut mir Leid.« Er reichte ihr ein blaues Taschentuch. »Ich hatte keine Ahnung, dass dich das so aufregt.«
    »Red keinen Quatsch, Daniel. Du spielst doch nur mit mir. Neulich hast du mir erzählt, dass du nicht anders konntest, dass du dich dagegen gewehrt hast, es aber einfach nicht geschafft hast. Und jetzt sagst du, dass du ganz bewusst meine Situation ausgenutzt hast. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«
    Einige Minuten lang wiegte er sich nur schweigend auf den Fersen und beobachtete, wie sich Sarah bemühte, ihre Fassung zurückzugewinnen. Als sie wieder einigermaßen ruhig atmete, blickte er ihr offen in die Augen. »Ich hatte Fantasien, habe mich dagegen gewehrt, wollte es probieren, habe es mir anders überlegt, dann hab ich deine Mutter getroffen und es mir wieder anders überlegt, schließlich hab ich gebetet und beschlossen, dich in Ruhe zu lassen. So ging es hin und her, und ja, letztlich habe ich deine Empfänglichkeit ausgenutzt. Aber wenn ich es nicht gewesen wäre, dann ein anderer, und er hätte sehr wahrscheinlich nur an die günstige Gelegenheit gedacht.
    Ich habe dich geliebt, und ich liebe dich noch immer. Aber eigentlich wollte ich damit sagen: Weil deine Eltern so sind, wie sie sind, ist es dir leichter gefallen, mich als Teil deines Lebens zu akzeptieren.«
    Sarah durchschaute ihn und sah sein manipulatives schwarzes Herz. Dieses Herz, das voller Liebe zu ihr war und zu dem auch sie voller Liebe war. Sie zündete sich eine Zigarette an und blies ihm den Rauch direkt in die Augen. Er zuckte zusammen, wich aber nicht zurück.
    »Bist du deswegen von zu Hause weggegangen, Sarah?
    Weil deine Eltern zu streng waren? Weil sie so kaltherzig zu dir waren?«
    »Nein, mit ihrer Strenge hätte ich leben können.
    Zumindest bis zum Ende der Schule.«
    »Was war dann der Grund?«
    »Ich erzähl es dir«, antwortete sie, »aber reg dich nicht so auf. Ich will nicht wieder weinen.«
    »Meinst du, es macht mir Spaß, wenn du weinst?«
    »Ja.«
    »Na ja, ein bisschen vielleicht, zugegeben.« In seiner Stimme lag nicht ein Hauch von Scham. »Aber eigentlich will ich vor allem wissen, was so Schreckliches passiert ist, dass du deine Eltern seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hast.«
    »Ich wurde vergewaltigt. Meine Eltern fanden das unschicklich.« Sarah zuckte die Achseln, als wollte sich ihr Kopf vom Körper bestätigen lassen, dass das alles nicht so tragisch war.
    »O Gott, Liebling, ich …« Daniel legte ihr die Hände auf die Knie, doch bevor die Freude über seine Berührung zu ihrem Gehirn

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