Zaertlich ist die Nacht
die Stimme: »Kinder, zieht eure Badeanzüge an!«
Rosemary hatte das Gefühl, dass dies jetzt das entscheidende Bad ihres Lebens sein würde, dass es ihr jedes Mal wieder einfallen würde, wenn vom Schwimmen die Rede war. Die ganze Gesellschaft bewegte sich gleichzeitig und nach der langen, erzwungenen Untätigkeit geradezu übereifrig in Richtung des Wassers und genoss den Übergang von der Hitze zur Kälte wie ein Kenner das kühle Glas Weißwein nach einem brennenden Curry. Die Tage der Divers waren so eingeteilt wie der Tageslauf alter Kulturen, in denen man aus allen Gegebenheiten das Beste machte |38| und auf die Übergänge den größten Wert legte; Rosemary wusste noch nicht, dass nach der absoluten Konzentration auf das Schwimmen ein geschwätziges provenzalisches Mittagsmahl folgen würde. Aber wieder hatte sie das Gefühl, dass sich Dick um sie kümmern würde, und ging voller Entzücken auf die Entwicklung ein, als ob es ihr jemand befohlen hätte.
Aber zunächst gab Nicole ihrem Mann ein eigenartiges Kleidungsstück, an dem sie gearbeitet hatte. Er ging in das Umkleidezelt und löste einen Augenblick später erhebliche Aufregung aus, als er in durchsichtigen schwarzen Spitzenhöschen wieder erschien. Eine nähere Betrachtung zeigte dann allerdings, dass sie mit fleischfarbenem Stoff unterlegt waren.
»Also, wenn dass kein schwuler Trick ist!«, rief Mr McKisco verächtlich – dann wandte er sich hastig zu Mr Dumphry und Mr Campion um und sagte: »Oh pardon, entschuldigen Sie!«
Rosemary jauchzte vor Freude über die Badehose. In ihrer Naivität reagierte sie aus vollem Herzen auf das kostspielige »einfache Leben« der Divers, seine Kompliziertheit und fehlende Unschuld bemerkte sie nicht. Sie spürte, dass hier aus dem Basar des Lebens Klasse statt Masse gewählt worden war, aber dass die kindliche Friedfertigkeit, das einfache, schlichte Verhalten, der gute Wille und die Betonung der einfachen Tugenden Teil eines verzweifelten Tauschgeschäfts mit den Göttern und in für sie unvorstellbaren Kämpfen erlangt worden war, ahnte sie nicht. In diesem Augenblick stellten die Divers die äußerste Entwicklungsstufe einer bestimmten Klasse dar, sodass die meisten Leute linkisch und ungehobelt neben ihnen erschienen |39| – allerdings hatte schon eine Veränderung eingesetzt, die für Rosemary aber nicht wahrnehmbar war.
Sie stand mit ihnen zusammen, als sie Sherry tranken und Cracker aßen. Dick Diver sah sie mit kalten, blauen Augen an, und sein freundlicher, starker Mund sagte bedächtig und wohlüberlegt: »Sie sind für mich seit Langem das erste Mädchen, das tatsächlich so aussieht, als würde es blühen.«
Später lag sie im Schoß ihrer Mutter und weinte und weinte.
»Ich liebe ihn, Mutter. Ich bin so verzweifelt – ich hätte nie gedacht, dass ich jemand so lieben könnte. Dabei ist er verheiratet, und sie mag ich auch – es ist alles so aussichtslos. Ach, ich liebe ihn so!«
»Es würde mich interessieren, ihn kennenzulernen.«
»Sie hat uns am Freitag zum Abendessen eingeladen.«
»Wenn du verliebt bist, sollte dich das glücklich machen. Eigentlich solltest du lachen.«
Rosemary schaute auf, ließ ihr zauberhaftes Gesicht erzittern und lachte. Ihre Mutter hatte schon immer einen großen Einfluss auf sie gehabt.
5
Nach Monte Carlo fuhr Rosemary so missmutig, wie es ihr irgend möglich war. Sie ließ sich den steilen Abhang nach La Turbie hinaufbringen, wo sich ein altes Gaumont-Gelände befand, das gerade neu aufgebaut wurde, und als sie vor dem vergitterten Tor stand und darauf wartete, dass die Nachricht auf ihrer Visitenkarte beantwortet wurde, hatte sie das Gefühl, sie wäre in Hollywood. Die bizarren Überreste |40| eines kürzlich abgedrehten Films – eine Straßenszene in Indien, ein großer Pappmaschee-Wal und ein riesiger Baum mit Kirschen in der Größe von Basketbällen – wucherten da mit der gleichen exotischen Selbstverständlichkeit wie Tausendschön, Korkeiche, Mimosen und Zwergkiefern. Es gab eine Imbissbude, zwei scheunenartige Studios und überall auf dem Gelände Gruppen von hoffnungsvoll wartenden, angemalten Gesichtern.
Nach zehn Minuten kam ein Mann mit kanariengelben Haaren zur Pforte heruntergeeilt. »Kommen Sie herein, Miss Hoyt. Mr Brady ist auf dem Set, aber er möchte Sie unbedingt sehen. Es tut mir leid, dass Sie warten mussten, aber einige dieser französischen Demoiselles sind so wild darauf, hier hereinzukommen
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