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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Menagerie, wo Tauben, Kaninchen und ein Papagei sie mit frechem Getöse begrüßten. Schließlich ging sie noch ein paar Stufen weiter hinunter, bis sie zu einer niedrigen, geschwungenen Mauer kam und weit hinaus auf das zweihundert Meter tiefer liegende Mittelmeer schaute.
    Sie stand in dem alten Hügeldorf Tarmes 1* . Die Villa und ihre Außenanlagen waren an die Stelle einiger Bauernhöfe getreten, die unmittelbar an das Steilufer grenzten   – fünf |46| alte Häuser waren zur Villa verbunden worden, vier weitere hatten sie abreißen lassen, um auf ihrem Gelände den Garten zu schaffen. Die Außenmauern der Häuser waren beim Bau der Villa nicht angerührt worden, sodass sie sich aus der Entfernung von der grauvioletten Masse der alten Gassen nicht unterschieden.
    Einen Moment lang sah Nicole aufs Meer hinunter, aber damit konnten ihre rastlosen Hände nichts anfangen. Kurz darauf kehrte Dick mit einem Fernglas aus seinem Gartenhäuschen zurück und spähte nach Osten in Richtung Cannes. Dabei geriet Nicole in sein Blickfeld, woraufhin er in seinem Haus verschwand und mit einem Megafon wieder heraustrat. Er besaß eine ganze Reihe solcher nützlichen kleinen Geräte.
    »Nicole«, rief er. »Ich habe vergessen, dir zu sagen, dass ich in einer abschließenden apostolischen Geste auch Mrs Abrams eingeladen habe, die Frau mit den weißen Haaren.«
    »Das habe ich schon geahnt. Es ist ein Skandal.«
    Die Problemlosigkeit, mit der ihn ihre Antwort erreichte, ließ sein Megafon etwas albern erscheinen, deshalb hob sie die Stimme und fragte: »Kannst du mich hören?«
    »Ja.« Er senkte das Megafon und hob es dann störrisch gleich wieder. »Ich werde auch noch ein paar mehr Leute einladen. Ich werde diese beiden jungen Männer einladen.«
    »In Ordnung«, stimmte sie friedfertig zu.
    »Ich möchte eine richtig
böse
Party geben. Das meine ich ernst. Ich möchte eine Party mit einer Schlägerei und Verführungen geben, die Leute sollen beleidigt nach Hause gehen und die Frauen sollen auf der Toilette ohnmächtig werden. Du wirst schon sehen.«
    Er ging wieder zurück in sein Haus, und Nicole wurde bewusst, dass er wieder mal in einer für ihn sehr typischen |47| Stimmung war, getragen von einer Erregung, die erst alle mitriss und dann in einer Melancholie bei ihm endete, die sie zu durchschauen glaubte, die er aber nie zeigte. Seine Begeisterungsfähigkeit erreichte oft eine völlig übertriebene Intensität, verschaffte ihm aber eine große Virtuosität im Umgang mit Menschen. Abgesehen von den ganz besonders Zähen und ewig Misstrauischen, gelang es ihm praktisch immer, eine unkritische und bewundernde Liebe zu wecken. Der emotionale Rückschlag kam dann, wenn er merkte, wie viel Verschwendung und Opfer damit verbunden waren. Manchmal blickte er mit Schrecken auf den Karneval der Gefühle zurück, den er ausgelöst hatte, so wie ein General auf die grausamen Schlachten zurückblickt, die er aus unpersönlicher Blutgier befohlen hat.
    Aber eine Zeit lang in Richard Divers Welt aufgenommen zu werden, war ein bemerkenswertes Erlebnis: Die Leute glaubten, dass er ihnen besondere Freiräume gab, dass er die Einzigartigkeit ihres Schicksals erkannte, das unter den Kompromissen so vieler Jahre verborgen lag. Die exquisite Rücksichtnahme und Höflichkeit, mit denen er Menschen für sich gewann, waren so beweglich und intuitiv, dass man sie nur an der Wirkung erkannte. Und dann öffnete er die Tore zu seiner vergnüglichen Welt   – ohne jede Vorsicht, damit kein Reif auf die Blüte der neuen Beziehung fiel. So lange die Leute mitmachten, galt ihrem Glück seine ganze Bemühung, aber beim kleinsten Hinweis auf Zweifel an seiner allumfassenden Fürsorge, verdunstete er vor ihren Augen und ließ kaum kommunizierbare Erinnerungen daran zurück, was genau er gesagt und getan hatte.
    Die ersten Gäste an diesem Abend begrüßte er um halb neun, wobei er seine Jacke feierlich und vielversprechend über dem Arm trug wie die Capa eines Toreros. Es war sehr |48| charakteristisch, dass er Rosemary und ihrer Mutter das erste Wort überließ, nachdem er sie begrüßt hatte, so als wollte er ihnen den tröstlichen Klang ihrer eigenen Stimmen in der neuen Umgebung gewähren.
    Um zu Rosemarys Perspektive zurückzukehren, sollte man vielleicht sagen, dass sie und ihre Mutter sich unter dem Eindruck des Aufstiegs nach Tarmes und der frischeren Luft, voller Interesse und Dankbarkeit umschauten. So wie ungewöhnliche Menschen ihre besondere

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