Zaertlich ist die Nacht
Lungenentzündung gekriegt.« Ehe die anderen reagieren konnten, wechselte sie entschlossen das Thema. »Gefällt es Ihnen hier – dieser Ort?«
»Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig«, sagte Abe North langsam. »Sie haben ihn nämlich erfunden.« Er drehte bedächtig den edlen Kopf und ließ seine Augen mit Zuneigung und Zärtlichkeit auf den Divers ruhen.
»Ach, wirklich?«
»Das ist erst die zweite Saison 1* , in der das Hotel auch im Sommer geöffnet ist«, erklärte Nicole. »Wir haben Gausse überredet, einen Koch, einen Kellner und einen Pagen dazubehalten, und das hat sich gelohnt. Dieses Jahr sogar noch mehr.«
»Aber Sie sind nicht im Hotel.«
»Wir haben ein Haus gebaut, oben in Tarmes.«
»Die Theorie ist«, sagte Dick und verstellte einen Sonnenschirm so, dass ein Sonnenfleck auf Rosemarys Schulter bedeckt wurde, »dass die nördlichen Badeorte, wie zum Beispiel Deauville, für die Russen und Engländer völlig okay sind, weil ihnen die Kälte nichts ausmacht, dass die Hälfte von uns Amerikanern aber aus heißen |33| Gegenden stammt – und wir deshalb lieber hierherkommen.«
Der junge Mann mit dem südländischen Aussehen hatte im ›New York Herald‹ 2* geblättert. »Na, welcher Nationalität sind diese Leute denn?«, fragte er plötzlich und las mit leicht französischem Akzent: »Im ›Palace Hotel‹ in Vevey sind eingetroffen – ich übertreibe nicht – Mr Pandely Vlasco, Mme Boneasse, Corinna Medonca, Mme Pasche, Seraphim Tullio, Maria Amalia Roto Mais, Moises Teubel, Mme Paragoris, Apostle Alexandre, Yolanda Yosfuglu und Geneva de Momus! Die reizt mich am meisten – Geneva de Momus. Ich hätte größte Lust, nach Vevey zu fahren und mir Geneva de Momus anzusehen.«
Er stand plötzlich unruhig auf und streckte sich mit einer scharfen Bewegung. Er war sehr groß und ein paar Jahre jünger als Diver und North. Sein Körper war hart und fast überschlank, wenn man von der geballten Kraft seiner Oberarme und Schultern absah. Auf den ersten Blick wirkte er einfach konventionell gut aussehend – aber in seinem Gesicht lag ein ständiger, leichter Abscheu, der den vollen, leidenschaftlichen Glanz seiner Augen verdarb. Dennoch erinnerte man sich später an diese Augen, wenn man den Mund, der keine Langeweile ertragen konnte, und die missmutige junge Stirn voller überflüssiger, bitterer Falten längst wieder vergessen hatte.
»In den Nachrichten über die Amerikaner haben wir letzte Woche auch ein paar echte Perlen gefunden«, erklärte Nicole. »Mrs Evelyn Oyster und – wie hießen die anderen?«
»Es gab da einen Mr S. Flesh«, sagte Diver und stand ebenfalls auf. Er nahm seinen Rechen und arbeitete ernsthaft daran, die kleinen Steine aus dem Sand zu entfernen.
|34| »Ja, genau – S. Flesh – lässt das einen nicht schaudern?«
Mit Nicole allein war es sehr still – Rosemary fand es noch stiller als mit ihrer Mutter. Abe North und Barban, der Franzose, unterhielten sich über Marokko, und Nicole, die ihr Rezept inzwischen abgeschrieben hatte, holte etwas zu nähen heraus. Rosemary musterte ihre Ausstattung: vier große Sonnenschirme, die ein großes Schattendach bildeten, eine tragbare Umkleidekabine, ein aufblasbares Gummipferd, neue Dinge, wie sie Rosemary noch nie gesehen hatte, Dinge, die aus der ersten Luxusproduktion nach dem Krieg stammten und sich bei den Divers wahrscheinlich noch in den Händen der ersten Käufer befanden. Rosemary war inzwischen zu dem Ergebnis gelangt, dass sie zu den schicken Müßiggängern gehörten, aber obwohl ihre Mutter ihr beigebracht hatte, dass man sich vor solchen Drohnen und Faulenzern hüten musste, hatte sie dieses Empfinden hier nicht. Trotz ihrer Reglosigkeit, die so absolut wie der Morgen war, spürte sie bei diesen Leuten doch eine Zielstrebigkeit und eine Richtung, den Willen, an etwas zu arbeiten und etwas zu schaffen, der anders als alles war, was sie kannte. Ihre unreife Seele spekulierte nicht weiter über die Art der Beziehungen zwischen ihren neuen Bekannten, denn sie war ganz mit der Frage beschäftigt, welche Haltung sie ihr gegenüber einnahmen – aber sie nahm doch ein angenehmes Grundgeflecht wahr, das sich für sie auf den Gedanken beschränkte, dass sie wohl eine gute Zeit hatten.
Sie schaute die drei Männer abwechselnd an und überlegte, wie es wäre, sie zu besitzen. Alle drei waren auf verschiedene Weise sympathisch, und alle zeigten eine besondere Sanftheit, die
Weitere Kostenlose Bücher