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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sogar unter exotischem Augenrollen und Hufescharren mit den beiden Männern zu flirten. Dick und Abe neckten sie freundlich.
    Dann ließen sie die winzigen Partikel von Württembergern, preußischen Gardisten, Chasseurs Alpins, Fabrikarbeitern aus Manchester und ehemaligen Eton-Schülern zurück, die sich im warmen Regen auflösten, und nahmen den Zug nach Paris. Sie aßen Baguette mit Mortadella und Bel Paese aus dem Bahnhofsbüffet und tranken dazu Beaujolais. Nicole war zerstreut, unablässig biss sie sich auf die Lippen und las in den von Dick mitgebrachten Reiseführern über das Schlachtfeld. Er dagegen stellte eine kurze Analyse der Vorgänge an, die er soweit vereinfachte, bis sie eine entfernte Ähnlichkeit mit seinen Partys zu haben schienen.

14
    Als sie Paris erreichten, war Nicole zu müde, um noch zur großen Illumination auf der
Exposition Internationale des Arts Décoratifs
1* zu gehen, wie sie es ursprünglich geplant hatten. Sie setzten sie am »Hôtel Roi George« ab, und als sie in der Hotelhalle hinter den vielen, sich überschneidenden Scheiben der gläsernen Türen verschwand, löste Rosemarys Bedrückung sich auf. Nicole war eine Macht   – und zwar keineswegs so vorhersehbar und wohlgesonnen wie ihre Mutter, sondern höchst unberechenbar. Rosemary fürchtete sich etwas vor ihr.
    Nachts um elf saß sie mit Dick und den Norths in einem gerade auf der Seine eröffneten Hausboot-Café. Der Fluss schimmerte im Licht der Brücken und wiegte viele kalte |96| Monde. Als Rosemary noch mit ihrer Mutter in Paris gelebt hatte, waren sie sonntags manchmal mit dem kleinen Dampfer nach Suresnes gefahren und hatten über die Zukunft geredet. Sie hatten nicht viel Geld, aber Mrs Speers war sich der Schönheit ihrer Tochter so sicher und hatte ihr so viel Ehrgeiz eingepflanzt, dass sie bereit war, das Geld für eine privilegierte Erziehung zu investieren; Rosemary würde ihrer Mutter alles zurückgeben, wenn sie erst einmal Erfolg hatte   …
    Seit er in Paris war, hatte Abe North ständig eine dünne alkoholische Aura um sich herum, und seine Augen waren vom Schnaps und der Sonne gerötet. Rosemary wurde zum ersten Mal klar, dass er dauernd irgendwo einkehrte, um etwas zu trinken, und sie fragte sich, was Mary wohl davon hielt. Mary North war, abgesehen von ihrem häufigen Lachen, immer sehr still, sodass Rosemary kaum etwas über sie in Erfahrung gebracht hatte. Ihr gefiel Marys dunkles Haar, das straff nach hinten gekämmt war, bis es in einer natürlichen Kaskade über den Nacken herabfiel. Gelegentlich glitt eine Strähne nach vorn und schlich sich über die Schläfe bis an die Augen, nur um mit einer Kopfbewegung wieder nach hinten geschleudert zu werden, wo sie sich willig einfügte.
    »Heute gehen wir früh schlafen, Abe, sobald wir ausgetrunken haben.« Marys Stimme war federleicht, enthielt aber doch einen Funken Nervosität.
    »Ja, es ist schon recht spät«, sagte Dick. »Wir sollten alle nach Hause gehen.«
    Die feinen Züge des Komponisten nahmen plötzlich eine fatale Bockigkeit an. »Oh, nein«, sagte er mit Bestimmtheit. Dann machte er eine würdige Pause. »Jetzt noch nicht. Wir trinken noch eine Flasche Champagner.«
    |97| »Für mich nichts mehr«, sagte Dick.
    »Ich denke vor allem an Rosemary. Sie ist die geborene Alkoholikerin   – mit einer Flasche Gin im Badezimmer und allem
et cetera
– ihre Mutter hat’s mir verraten.«
    Er kippte die Reste der ersten Flasche in Rosemarys Glas. Sie hatte am ersten Tag in Paris Limonade bis zum Erbrechen getrunken und danach gar nichts mehr zu sich nehmen mögen, aber jetzt hob sie das Glas und trank den Champagner.
    »Was denn jetzt?«, sagte Dick überrascht. »Ich dachte, du trinkst keinen Alkohol?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich es nie tun würde.«
    »Und was sagt deine Mutter dazu?«
    »Ich trinke ja bloß dieses Glas.« Sie hatte das Gefühl, dass es nötig war. Dick trank zwar nicht viel, aber doch so selbstverständlich, dass sie hoffte, sie würde ihm dadurch näherkommen. Es war ein Teil dessen, was sie dafür tun musste. Also nahm sie einen großen Schluck, hustete und sagte: »Außerdem   – gestern war mein Geburtstag. Jetzt bin ich achtzehn.«
    »Warum hast du uns das nicht gesagt?«, riefen alle empört.
    »Weil ich wusste, dass ihr einen Riesenwirbel darum machen würdet.« Sie trank den Champagner aus. »Deshalb ist das jetzt die Feier.«
    »Keineswegs«, versicherte Dick. »Das Dinner morgen Abend ist deine

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