Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald

Vom Netzwerk:

Laden, um für sie beide Ansteckblumen zu kaufen, und schickte sogar noch welche an Mary North. Erst danach schien sie sich zu erinnern, und mit plötzlicher Geistesabwesenheit winkte sie nach einem Taxi.
    »Tschüß«, sagte sie. »Wir haben Spaß gehabt, nicht wahr?«
    »Eine Menge Spaß«, bestätigte Rosemary. Es war schwerer für sie, als sie gedacht hatte, und ihr ganzes Wesen befand sich in Aufruhr, als Nicole schließlich davonfuhr.

13
    Dick gelangte zur Einmündung des Verbindungsgrabens und ging auf den Brettern des Hauptgrabens weiter. Er kam zu einem Periskop, und schaute einen Augenblick hindurch; |90| dann trat er auf die Stufe und spähte über die Brustwehr. Unter einem trüben Himmel lag vor ihm Beaumont-Hamel 1* und zu seiner Linken der tragische Hügel von Thiepval. Dick starrte sie durch seinen Feldstecher an, während sich seine Kehle vor Trauer spannte.
    Er ging den Schützengraben hinunter und fand die anderen hinter der nächsten Traverse, wo sie auf ihn gewartet hatten. Er war sehr aufgewühlt, und wollte den anderen seine Erregung mitteilen und ihnen das alles erklären, obwohl nur Abe North tatsächliche Kriegserfahrung besaß und er nicht.
    »Jeder Fußbreit auf diesen Äckern hat zwanzig Menschenleben in jenem Sommer gekostet«, sagte er zu Rosemary. Sie schaute gehorsam auf die kahle grüne Ebene mit den spärlichen Bäumchen hinaus, die in den letzten sechs Jahren gewachsen waren. Wenn Dick jetzt gesagt hätte, sie würden gleich mit Granaten beschossen – an diesem Nachmittag hätte sie es ihm geglaubt. Ihre Liebe hatte ein Stadium erreicht, wo sie endlich anfing, unglücklich und verzweifelt zu sein. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte mit ihrer Mutter reden.
    »Seitdem sind eine Menge Leute gestorben, und wir werden auch bald alle tot sein«, sagte Abe North mit tröstlicher Stimme.
    Angespannt wartete Rosemary darauf, dass Dick weitersprach.
    »Siehst du den kleinen Bach da – in zwei Minuten könnten wir dort sein. Die Briten haben einen ganzen Monat gebraucht, um dort hinzukommen – das ganze Empire marschierte sehr langsam, vorn wurde gestorben, von hinten drängten sie nach. Und das andere Reich ging sehr langsam rückwärts, nur ein paar Zoll jeden Tag, und ließ dabei seine |91| Toten in Abertausenden blutiger Fetzen zurück. Kein Europäer wird das in dieser Generation noch einmal tun.«
    »Na ja, in der Türkei haben sie gerade erst aufgehört«, 2* sagte Abe. »Und in Marokko –«
    »Das ist etwas anderes. Diese Geschichte hier an der Westfront, die können sie nicht mehr machen, jedenfalls für sehr lange Zeit nicht. Manche jungen Männer bilden sich ein, sie könnten das, aber sie können es nicht. Die erste Marneschlacht könnten sie vielleicht noch einmal schlagen, aber nicht das hier. Dazu waren religiöser Eifer und jahrelanger Überfluss nötig, eine ungeheure Sicherheit und fest etablierte Unterschiede zwischen den Klassen. Die Russen und Italiener hätten an dieser Front nicht getaugt. Man musste mit ganzer Seele dabei sein und brauchte eine Gefühlsausrüstung, die weiter zurückreichte, als man selbst ahnte. Man musste an Weihnachten glauben und Postkarten vom Kronprinzen und seiner Verlobten gesehen haben, man musste sich an kleine Cafés in Valence und Biergärten unter den Linden erinnern, an Hochzeiten in der Mairie und Besuche beim Derby, nicht zu vergessen den Schnauzbart des Großvaters.«
    »Diese Art Krieg hat General Grant im Jahre 1865 in der Schlacht von Petersburg 3* erfunden«, sagte Abe North.
    »Nein, hat er nicht – er hat bloß das massenhafte Gemetzel erfunden. Diese Art Schlacht haben Jules Verne und Lewis Carroll erfunden, und der Mann, der ›Undine‹ geschrieben hat, kegelnde Landpfarrer, Patentanten aus Marseille und jede Menge Mädchen, die in den Gassen von Württemberg und Westfalen verführt worden sind. Ja, das war eine Liebes-Schlacht 4* – hundert Jahre Mittelklassenliebe sind hier verheizt worden. Die letzte große Liebesschlacht ist das gewesen.«
    |92| »Dann solltest du diese Schlacht an D. H. Lawrence 5* übergeben«, erklärte Abe.
    »Meine ganze schöne, sichere Welt ist hier von einem gewaltigen Donnerschlag hochexplosiver Liebe in Stücke gesprengt worden«, klagte Dick hartnäckig. »Ist das nicht wahr, Rosemary?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie mit ernstem Gesicht. »Du weißt alles.« Sie waren hinter den anderen zurückgeblieben, und plötzlich ging ein Hagelschauer von Erde