Zaertlich ist die Nacht
und kleinen Steinen auf sie nieder.
»Der Geist des Krieges ist in mich gefahren«, schrie Abe hinter der nächsten Traverse hervor. »Ich habe hundert Jahre Ohio-Liebe in mir und werde den Graben ausbomben.« Sein Kopf erschien über der Brustwehr. »Ihr seid tot – kennt ihr die Regeln nicht? Das war eine Granate.«
Rosemary lachte, und Dick hob zur Vergeltung eine Handvoll Kieselsteine vom Boden auf. Dann ließ er sie wieder fallen.
»Ich kann hier keine Witze machen«, sagte er zu seiner Entschuldigung. »Ich weiß:
Die silberne Schnur ist zerschnitten und die goldene Schale zerbrochen
, 6* aber ein alter Romantiker wie ich kann dagegen nichts machen.«
»Ich bin auch romantisch.«
Sie kamen aus dem säuberlich restaurierten Schützengraben heraus und standen vor einem Denkmal für die Gefallenen aus Neufundland. Als sie die Inschrift las, brach Rosemary plötzlich in Tränen aus. Wie die meisten Frauen ließ sie sich gern sagen, was sie empfinden sollte, und sie war froh, dass Dick ihr erklärte, was albern war, und was traurig. Aber vor allem wollte sie, dass er jetzt endlich merkte, wie sehr sie ihn liebte, jetzt wo diese Tatsache alles |93| umwälzte und sie in einem erregenden Taumel über das Schlachtfeld mit ihm ging.
Danach stiegen sie in ihr Auto und fuhren zurück nach Amiens. Ein dünner, warmer Regen fiel auf die neuen Bäume und das dürftige Unterholz, als sie an großen Begräbnishügeln aus übereinandergestapelten Granathülsen, Blindgängern, Bomben, Handgranaten, Helmen, Bajonetten, Gewehrkolben und verschimmelten Ausrüstungsgegenständen aus Leder vorbeifuhren, die sechs Jahre 7* im Schlamm gelegen hatten. Hinter einer Kurve lag plötzlich ein Meer aus weißen Grabsteinen vor ihnen. Dick bat den Chauffeur anzuhalten.
»Da ist das Mädchen – und ihren Kranz hat sie immer noch.«
Sie sahen zu, wie er ausstieg und zu der jungen Frau hinging, die mit dem Kranz in der Hand unsicher am Tor stand, während ihr Taxi wartete. Das Mädchen hatte rote Haare und stammte aus Tennessee. Sie hatten sie am Morgen im Zug getroffen. Sie war aus Knoxville gekommen, um das Grab ihres Bruders zu besuchen. Jetzt standen ihr Tränen des Zorns im Gesicht.
»Das Kriegsministerium hat mir die falsche Nummer gegeben«, klagte sie. »Der falsche Name stand drauf. Ich hab jetzt seit zwei Uhr gesucht, und es gibt noch so viele Gräber.«
»Dann würde ich den Kranz auf irgendein anderes Grab legen, ohne den Namen zu lesen, wenn ich Sie wäre«, sagte Dick.
»Glauben Sie wirklich, das sollte ich tun?«
»Ich glaube, dass hätte er so gewollt.«
Es wurde dunkel, und es regnete stärker. Sie legte den Kranz auf das erste Grab hinter dem Tor und nahm den |94| Vorschlag von Dick an, ihr Taxi wegzuschicken und mit ihnen zurück nach Amiens zu fahren.
Rosemary vergoss erneut Tränen, als sie von dem Missgeschick hörte – es war ganz allgemein ein wässriger Tag gewesen, aber sie hatte doch das Gefühl, etwas gelernt zu haben, auch wenn sie nicht genau wusste, was. Später, in der Erinnerung, erschienen alle Stunden des Tages ihr glücklich – es war einer dieser ereignislosen Tage, die im Hier und Jetzt nur als Bindeglied zwischen künftigen und vergangenen Freuden erscheinen, aber im Nachhinein das Glück selbst sind.
Amiens war eine widerhallende, violette Stadt, immer noch traurig vom Krieg, so wie es manche Bahnhöfe waren: der Gare du Nord in Paris und die Waterloo Station in London. Am Tage drücken solche Städte mit ihren kleinen, zwanzig Jahre alten Straßenbahnwagen, die auf dem großen, grau gepflasterten Platz vor der Kathedrale herumfahren, einen unweigerlich nieder – sogar das Wetter scheint verblasst wie eine alte Fotografie, die aus der Vergangenheit kommt. Aber sobald es dunkel wird, rücken alle Dinge, die das Leben in Frankreich so angenehm machen, wieder ins Bild – die munteren Nutten, die Männer in den Cafés, die mit hundert
Voilàs
diskutieren, die Pärchen, die eng aneinander geschmiegt in ein wunderbar preiswertes Nirgendwo schlendern.
Während sie auf den Zug warteten, saßen sie in einer großen Arkade, die hoch genug war, um den Rauch, den Lärm der Gespräche und die Musik nach oben entweichen zu lassen, und das Orchester fing ihnen zu Ehren gleich an, ›Yes! We Have No Bananas‹ 8* zu spielen. Sie klatschten, weil der Dirigent so stolz auf sich war. Das Mädchen aus Tennessee vergaß seinen Kummer und fing an sich zu amüsieren, |95| ja, sie begann
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