Zärtliche Wildnis
Moira Martin, jünger als ich, zwei Kinder, die zur Schule gehen, und eines, das gerade vier ist. Wir alle wollen diese freien Tage richtig genießen, und ich hoffe, Sie werden mithalten. Es hat keinen Sinn, über die Vergangenheit zu brüten, mein Kind. Man muß immer vorwärtsblicken, nicht zurück.«
Kay wandte den Kopf ab, um ein Lächeln zu verbergen. Liz mochte zwar in den letzten zwei Jahren viel gegrübelt haben, doch das war in dieser letzten Woche gründlich anders geworden. Sie dachte an die Einkaufsorgie, das riesige Paket, das an die Heilsarmee abgegangen war und die Besuche im Frisiersalon. Nicht gerade das, was diese nette Frau meinte, aber es bestand kein Anlaß, sie zu desillusionieren.
»Wie recht Sie haben«, meinte Kay deshalb. »Ich sage Elizabeth immer wieder, daß sie die Vergangenheit vergessen muß.«
Jessie machte ein etwas entgeistertes Gesicht über diesen realistischen Standpunkt, murmelte aber etwas Zustimmendes, und zum Glück kletterte der Fahrer in diesem Moment auf seinen Sitz, und alle Anwesenden setzten sich in Bewegung, um in den Bus zu steigen. Kay drängte Liz vorwärts, doch im letzten Augenblick zögerte das Mädchen und sah tatsächlich verängstigt aus.
»Ach, Kay, wenn du nur mitkämst. Diese vielen fremden Leute«, murmelte sie.
»Kopf hoch. Es wird bestimmt lustig. Und vergiß nicht, es ist nur der Anfang.«
Noch während sie dies sagte, fragte sich Kay, wie es wohl nach dieser Reise weitergehen würde, und wünschte fast, nicht gerade jetzt die neue Stellung antreten zu müssen. Würde Liz in diesem beklemmenden Haus wieder in ihre Anonymität zurücksinken oder würde sie, wie Kay hoffte, das Haus verkaufen, eine ausgedehnte Reise machen, sich Freunde suchen oder, wenn sie in der Stadt blieb, zusammen mit anderen jungen Leuten vielleicht eine Handelsschule besuchen? Sie hatte versprochen, Kay zu schreiben und ihr zu berichten, und Kays letzte Worte waren: »Ich schreibe dir eine Karte, sobald ich meine neue Adresse weiß. Ich werde dich nicht aus den Augen verlieren. Also, amüsier dich gut. — Und, Mrs. Wheeler, Sie kümmern sich ein bißchen um sie, nicht wahr?«
Jessie Wheeler nickte und plusterte sich ein wenig auf. Sie legte Liz eine Hand auf den Arm, und sie stiegen zusammen in den Bus. Kay stellte mit Erleichterung fest, daß Liz gegenüber von Mrs. Wheeler saß.
»Mein Wunschtraum wäre das zwar nicht gerade, aber ich glaube, sie wird sich wohl fühlen«, sagte sie zu Giles, während sie dem abfahrenden Bus nachwinkte.
Vom Fenster aus winkte Liz zurück und blickte sehnsüchtig hinaus.
»Was für ein nettes junges Mädchen«, meinte Mrs. Wheeler freundlich. »Sie geht wohl noch zur Schule?«
Liz lächelte. »Sie ist zweiundzwanzig und ausgebildete Krankenschwester«, erwiderte sie. Jessie sagte darauf nur, daß man heutzutage wirklich nicht mehr nach dem Aussehen gehen könne, daß es aber sicher angenehm sein müßte, einen solchen Menschen um sich zu haben, wenn man krank sei.
»Auch wenn man nicht krank ist«, erwiderte Liz betrübt, als der Bus um die Ecke fuhr und Kay aus ihrem Blickwinkel verschwand.
Das also war der neue Anfang.
2
Während der Bus Geschwindigkeit zulegte, sank Liz’ Stimmungsbarometer immer tiefer. Der Platz neben ihr war leer, und sie fühlte sich einsam und verlassen. Monatelang hatte sie sich ganz auf Kay verlassen, hatte getan, was ihre wohlmeinende, aber stets tonangebende Freundin ihr geraten hatte, hatte eine Menge Geld für neue Kleider ausgegeben, und jetzt saß sie allein inmitten einer Schar älterer Frauen, die zwar gewiß anständig angezogen waren, aber Kays Ansprüchen keinesfalls genügten. Sie kam sich fehl am Platze vor, wie ein Zaungast, ausgeschlossen vom Vergnügen der anderen. Es war eine Riesenenttäuschung.
Wenn ihr nur wenigstens ein Gesprächsthema eingefallen wäre! Kay hatte gerade diesen Punkt immer wieder betont. »Schweigsamkeit wirkt abweisend. Du mußt dich bemühen, auf dieser Reise zu reden — ganz gleich, worüber, selbst wenn du nur über das Wetter quasselst.« Dies ermutigte sie jetzt, zu Jessie Wheeler zu sagen: »Ist das Wetter nicht herrlich?« Aber dann unterdrückte sie ein Lachen über ihre eigenen Worte und alles andere. Sie schluckte das Lachen hinunter und ärgerte sich über sich selbst.
Doch diese Neigung, selbst bei unpassenden Gelegenheiten zu lachen, war, wenn sie es auch selbst nicht wußte, ein Segen. Sie hatte sie in den vergangenen zwei Jahren vor
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