Zärtlicher Hinterhalt
Gemahlin zu tun, was immer Männer in solch einem Fall mit ihren Frauen anstellten. Sie provozierte ihn besser nicht.
Abgesehen davon war ihr kalt.
Aber ihr Instinkt ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Nicht einmal während sie zum Feuer ging, wagte sie es, ihn aus den Augen zu lassen. Also schlängelte sie sich seitwärts zur Sitzgruppe am Kamin und beobachtete ihn dabei unablässig.
Die Zeit hatte Veränderungen mit sich gebracht. Viele Veränderungen.
Als Hannah in Liverpool zum ersten Mal unter seinem Dach gelebt hatte, war Mutter bei ihm als Haushälterin angestellt gewesen und Hannah eine dünne Zwölfjährige mit großen Augen. Doch schon damals hatte sein Gesicht sie fasziniert. Die kühnen Wangenknochen, das kräftige Kinn, die gerade, kurze Nase und die großen Ohren. Er besaß einen dunklen Teint, die Augen leuchteten in einem wunderschönen goldgesprenkelten Grün, das auf schottische Vorfahren hinwies. Die Wimpern waren lang und schwarz und seidig. Das Haar fein und schwarz und glänzend. Und dann seine Größe. Der kleinen Hannah war er wie eine geniale Mischung aus Wikinger und Kelte erschienen und dabei Engländer bis ins Mark. Sein vornehmer Clan lebte schon seit zweitausend Jahren im Norden, hatte sich seine keltischen Wurzeln über alle Völkerwanderungen hinweg erhalten, und Dougald brüstete sich gerne damit, mit jeder Familie nördlich von London verwandt zu sein.
Nun hatten Zeit und Lebenserfahrung seine Gesichtszüge geschliffen und seinem Antlitz eine Markantheit verliehen, die gut zu dem grimmigen, rohen Fels der Burg passte, die er inzwischen sein Eigen nannte. Seine Haut schien dünn über die Knochen gespannt, der Blick war kühl vor Entschlossenheit, und das Haar … Gütiger Himmel, da blinkten ja weiße Strähnen an den Schläfen!
Die letzten neun Jahre schienen nicht gerade freundlich mit Dougald Pippard umgegangen zu sein … oder welchen Titel auch immer er jetzt führte.
Doch außer der Furcht wuchs in Hannah auch ein tückisches Verlangen.
Ob er sie immer noch haben wollte? Ob er sie wohl heute Nacht haben wollte?
Und würde sie sich zur Wehr setzen oder ihn begehren wie eh und je?
Sie stolperte über den Fransenbesatz des Teppichs, was sie ins Hier und jetzt zurückholte, in die Realität ihrer Zwangslage, zurück zur unablässigen Beobachtung ihres … ihres Ehemanns. Noch stand sie nicht nahe genug am Feuer, als dass es ihr wirklich gut getan hätte; aber der Duft des brennenden Holzes füllte ihr die Lungen mit dem Versprechen auf Wärme. Wenn sie blieb, wo sie war, gab es den Lehnstuhl zwischen ihnen beiden. Ein kläglicher Schutzwall, aber immerhin eine Barriere. Hannah umklammerte mit zitternden Fingern das Polster und fragte: »Erzähle es mir. Wie kam es dazu, dass du jetzt der Earl of Raeburn bist?«
»Ich war auf Platz fünf der Erbfolge. Irgendwie sind die anderen alle gestorben, und hier bin ich.«
Früher hatte er immer gelächelt, hatte Charme und Zuversicht ausgestrahlt. Die Zuversicht bestand noch; aber der Charme und das Lächeln waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Eigentlich müsste sie ihn kennen; doch ihn anzusehen war, als stünde sie einem Fremden gegenüber … einem Fremden, der ein Anrecht auf sie hatte. Einem Fremden, der sie hatte aufwachsen sehen und der
sie
nur allzu gut kannte.
Aber sie war keine übertrieben höfliche, unsichere Achtzehnjährige mehr. Sie hatte sich, was Erfahrung und Haltung anging, einen Vorsprung erworben, den er wohl kaum erahnte. Gekonnt bediente sie sich des Gesichtsausdrucks und des Tonfalls, den sie in Vorstellungsgesprächen mit potenziellen Kandidatinnen der Gouvernantenakademie anwandte: »Du hast mit Baumwolle gehandelt.«
»Das tue ich immer noch.«
»Du hast in die Eisenbahn investiert.«
»Ein Risiko, das sich königlich bezahlt gemacht hat.«
»Aber du warst in
keiner
Erbfolge-Linie für irgendwelche Adelstitel.«
»Natürlich war ich das!« Er vollführte eine ausladende Handbewegung. »Ich bin auch an vierter Stelle der Erbfolge für eine Baronie.« Während er die Achseln zuckte, hoben und senkten sich die breiten Schultern zum Zeichen des Unmuts. »Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann auf so jämmerliche Weise seine Selbstachtung hebt, indem er mit irgendwelchen entfernten Verbindungen zum Adel prahlt.«
Hannah schon. Als Leiterin der Vornehmen Akademie der Gouvernanten war sie vielen Herren begegnet, die eine dubiose Verbindung zu William the Conquerer,
Weitere Kostenlose Bücher