Zärtlicher Hinterhalt
dieser alten und abgetretenen Treppe rutscht man leicht aus. Der vorherige Lord ist ja auch wirklich … aber egal.« Auf einem Absatz blieb sie stehen, lehnte sich an die Wand und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite.
Beunruhigt schaute Hannah die steinerne Stufenspirale hinunter. Sie nahm Mrs. Trenchard am Arm und fragte: »Geht es Ihnen nicht gut?«
»Unsinn!« Mrs. Trenchard schüttelte Hannahs Hand ab und schob sie weiter aufwärts. »Ich war mein ganzes Leben lang keinen einzigen Tag krank … bin eine zähe Natur. Meine Mutter ist erst vor fünf Jahren gestorben – im gesegneten Alter von neunundachtzig.«
Sie wies auf den Lichtschein, der von oben herunterdrang. »Wenn man es durch die Küche geschafft hat, ist es ein schönes Haus.«
Hannah nickte. Vielleicht hatte Mrs. Trenchard einfach nur einen schlechten Tag. Kräftig genug schien sie jedenfalls zu sein.
»Nachdem der alte Lord gestorben ist, haben die nächsten beiden Herren damit angefangen, Raeburn herzurichten. Und der vorige Herr, Gott sei seiner armen Seele gnädig, hat sogar Öfen einbauen lassen, die doppelt so gut heizen wie die Kamine. Der jetzige Lord war, nachdem er den Titel geerbt hat, geschäftlich zuerst verhindert; aber jetzt lässt er die Wandbespannungen erneuern, die Holzvertäfelungen säubern und alles veraltete Zeug erneuern. Es ist sehr schön. Sie werden schon sehen.«
»Da bin ich sicher.« jedoch war Hannah sich nicht sicher, ob Mrs. Trenchard immer so frei heraus erzählte oder nur nervös war; doch auf der oberen Etage wurde ihr klar, dass die Haushälterin die Wahrheit gesagt hatte. Den ungeschlachteren Teil der Burg hatte man durch eine Mischung aus modernen Möbeln und Bienenwachs auf Vordermann gebracht. Der Bogengang weitete sich und mündete in einen großen, wunderbar eingerichteten Raum, der Mittelalter und Gegenwart verband. Die Decke war so hoch, dass das Licht der flackernden Kerzen sie nicht erreichte. Die Wände zierten dunkle Holzvertäfelungen; polierte Schilde wechselten sich ab mit altmodischen Wandteppichen in Gold und Scharlachrot. Aber die Möbel waren neu und bequem. jetzt erst bekam Hannah in Lancashire etwas von dem Chic zu sehen, der derzeit London beherrschte.
»Die große Halle«, verkündete Mrs. Trenchard voller Stolz.
»Sehr beeindruckend«, lobte Hannah. Ihr klapperten immer noch die Zähne.
Sie hasste dieses Geklapper. Beim ersten Zusammentreffen mit dem Personal, dem Hausherren und der ältlichen Tante hatte sie stark erscheinen wollen.
Mrs. Trenchard bog in eine düstere Galerie ab. An den Wänden hingen Gemälde, die Seiten entlang öffneten sich Türen, und am Ende war eine breite Treppe zu sehen, die im Dunkeln fast verschwand. Dennoch wirkte alles großzügig und bestens gepflegt. Eine der Türen stand nicht nur offen, sondern lehnte ausgehängt neben dem Rahmen.
Mrs. Trenchard zeigte, als sie vorbeigingen, in den Raum. »Der Herr lässt die Bibliothek neu einrichten, mit blassgelb gestrichenen Eichenregalen. Er sagt, das bringt Licht herein, und ich sage, schön wird es.«
»Es hört sich ganz reizend an.«
»Manche finden, wir sollten alles lassen, wie es ist. Das Alte sei immer das Bessere, sagen sie.«
Sie schien an Hannahs Meinung interessiert zu sein, doch die junge Dame fühlte sich noch zu fremd auf Raeburn, um sich eine zu gestatten. Also wich sie dem Thema aus. »Natürlich muss man von den alten Dingen einiges bewahren aber für Sie ist es bestimmt einfacher, wenn das Schloss neu ausgestattet wird.«
Mrs. Trenchard drehte sich zu Hannah um. »Warum?«
»Weil Sie hier als Haushälterin die alten, empfindlichen Einrichtungsgegenstände sauber halten müssen«, gab Hannah zu bedenken.
Nun betrachtete Mrs. Trenchard Hannah mit einem Anflug von Argwohn. Ihre Augen waren von heller Farbe, wiewohl Hannah sie in diesem Licht nicht klar erkennen konnte. Auch konnte Mrs. Trenchard nicht so alt sein, wie Hannah anfangs geglaubt hatte; aber die Sorgenfalten ließen sie älter erscheinen.
»Da mögen Sie Recht haben.« Mrs. Trenchard rührte sich immer noch nicht von der Stelle. »Wenn ich das sagen darf«, fuhr sie fort, »ich arbeite schon mein ganzes Leben lang hier im Schloss, und ich habe die Tante Seiner Lordschaft sehr gern. Alle, die wir hier arbeiten, haben sie gern.«
»Ich bin erfreut, das zu hören.« Erfreut, dass ihr Schützling sympathisch zu sein schien. Und noch erfreuter darüber, dass die Bediensteten der alten Dame wegen sogar Hannah auf
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