Zärtlichkeit des Lebens
sich dazu, die Schultern locker zu lassen.
Langsam drückte Byron seine Zigarette aus. Hinter ihm fiel das Sonnenlicht schräg durch das getönte Glas auf seinen Schreibtisch. »Dave Tyson hat Ihnen bestimmt die finanzielle Seite dieser Position ausführlich dargelegt?«
Sein abrupter Themenwechsel warf Sarah beinahe aus dem Gleichgewicht. »Ja, er hat mir das Gehalt und die Sozialleistungen des Unternehmens erläutert.«
Byron hob die Braue angesichts dessen, wie beiläufig sie über die großzügigen Sozialleistungen des Unternehmens und die für sie mit einem Stellungswechsel verbundene Gehaltserhöhung von zehntausend Dollar pro Jahr hinwegging. »Andere Faktoren sind für mich von größerer Bedeutung. Mich interessiert, wieviel schöpferische Freiheit ich als Architektin hätte und wieviel Kontrolle ich über ein von mir entworfenes Gebäude noch während der Bauphase ausüben könnte.«
Byron beobachtete sie. Ihm entging nicht das rauchige Timbre ihrer Stimme, einer Nachtstimme. Er betrachtete ihre feingliedrigen, anmutigen Hände mit den unmodisch kurzen und unlackierten Nägeln, mit denen sie lebhaft gestikulierte. Sie vereinigte, folgerte er, ein ganzes Bündel von Widersprüchen.
Das konventionelle Kostüm, die auffallende Bluse, die erotische Stimme, die damenhaften Hände. Ihm gefiel ihre Unverblümtheit, doch er schob sein Urteil über sie noch ein wenig auf.
»Erstens«, setzte er an, »hängt die schöpferische Freiheit vom Ergebnis ihrer schöpferischen Arbeit ab. Mr. Haladay behält sich stets die letzte Entscheidung vor, aber wenn er nicht die Urteilsfähigkeit seiner Mitarbeiter hoch einschätzen würde, würden sie nicht für ihn arbeiten. Zweitens müssen die Architekten bestimmte Bauabschnitte eines von ihnen entworfenen Projekts selbstverständlich beaufsichtigen.«
Sarah stand auf. »Ich verstehe«, murmelte sie und begann, im Zimmer umherzugehen. Seine Antworten gefielen ihr nicht so ganz. Aber zumindest, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, hatte er ihr geantwortet. Das war schon etwas. »Ruhige Farben, die Autorität vermitteln«, bemerkte sie, während sie mit dem Finger über die Textiltapete strich. »Elfenbein, creme, beige.« Sarah schätzte das Büro auf etwa fünfunddreißig Quadratmeter und beurteilte es als bestens ausgestattet. Sie spürte, daß in den neutralen Farben und den glatten Oberflächen des Büros sich wenig vom Innenleben dieses Mannes offenbarte. Nur ihre Intuition sagte ihr, daß er weder neutral noch glatt war. Wir hätten uns vielleicht außerhalb dieses Raums etwas zu sagen, dachte sie, ohne diese geschniegelten Büroklamotten und die Ledersessel. »Ihre Wohnung ist wohl anders eingerichtet«, meinte sie und ließ damit ihre Gedanken an die Oberfläche steigen. Sie drehte sich wieder zu Byron um, schaute ihn lange und kühl an und fühlte sich wie beim Schachspiel. Wenn sie schon matt gesetzt wurde, dann wollte sie wenigstens mit wehenden Fahnen untergehen. »Ich eigne mich nicht gut für gefällige Plaudereien«, erklärte sie, »aber ich bin eine gute Architektin.«
»Und eine sehr junge«, gab Byron zurück, der gegen seinen Willen von ihr fasziniert war. Er bemerkte das prompte Aufblitzen von Ärger in ihren Augen.
»Ich bekenne mich schuldig.« Ihre Stimme klang kalt, mit einer Spur von Zorn. »Ich bin sechsundzwanzig, was bedeutet, daß ich kaum die Schulkreide unter meinen Fingernägeln herausgekratzt habe.«
»Sie müssen sich für Ihr Alter nicht entschuldigen, Miß Lancaster. Ihre Jugend ist einer der Gründe, weshalb Mr.
Haladay diese Position mit Ihnen besetzen möchte.«
Bei diesen Worten schaute Sarah hoch. »Verstehe ich Sie recht, daß Sie mir diese Position anbieten?«
»Nein«, verbesserte Byron sie. »Mr. Haladay bietet Ihnen die Stelle an.«
Sarah wandte sich dem Fenster zu und wartete, daß ihre Gedanken sich wieder ordneten. Ihr anfängliches Erschrecken wich einer Mischung aus Freude, Triumphgefühl, Aufregung und Angst. Die Angst kam unerwartet und schien ihr zu sagen:
»Jetzt bietet sich dir die Gelegenheit, Sarah, der Rest hängt von
dir ab. Vermassle es nicht.«
»Darf ich fragen«, begann sie, überrascht von der Gelassenheit in ihrer Stimme, »wann Mr. Haladay seine Entscheidung getroffen hat?«
»Letzte Woche.«
»Letzte Woche«, wiederholte sie töricht. Sie erinnerte sich lebhaft an die Höllenqualen, die sie in der letzten Woche durchlebt hatte, an die Pein des Zweifels während des Flugs von New York hierher,
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