Zärtlichkeit, die du mir Schenkst
er trug immer noch seinen langen Staubmantel, obwohl es warm war. Sie erhaschte einen Blick auf einen Revolver, den er in einem tief geschnallten Halter an der linken Hüfte trug. Er drehte sich zu ihr wie eine Kompassnadel, die den Norden findet, und einer seiner Mundwinkel verzog sich zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. Es war eine Spur von Spott darin, als argwöhnte er, dass sie ein Spiel spielte und vorgab, jemand anderes zu sein.
Er ging auf sie zu, seine Schritte waren lang, langsam und würdevoll.
Emmeline, die immer noch auf der Treppe verharrte, wich unbeholfen einen Schritt zurück und wäre fast auf ihren Po geplumpst.
Er umfasste den Treppenpfosten mit einer behandschuhten Hand und betrachtete sie. Seinen Hut hatte er an der Tür abgesetzt - das war eine Vorschrift bei Becky, und sie erlaubte auch nicht das Tragen von Waffen in ihrem Etablissement. Jedenfalls normalerweise nicht. Wer auch immer dieser Mann war, er lebte nach seinen eigenen Regeln.
»Hallo«, begann er. Die Art, wie er dieses eine Wort aussprach, reichte, um ihn als Texaner zu stempeln; honigsüß, schmeichelnd rollte es über seine Zunge.
»Hallo«, brachte Emmeline heraus und spürte, dass sie von den Füßen bis zum Haaransatz errötete. Sie wollte sich wegdrehen und davonstürzen, doch sie war zu keiner Bewegung fähig.
»Sie müssen hier neu sein«, bemerkte er gedehnt. »Ich erinnere mich nicht vom letzten Mal an Sie.«
Emmeline presste kurz die Lippen aufeinander. »Ja«, stimmte sie verlegen zu. »Das stimmt. Ich bin ... ich bin neu.«
Er hob leicht eine Augenbraue. »Wie heißen Sie?«
Sie zögerte, blickte in Richtung ihrer Tante und sah, dass Becky zum Glück immer noch beschäftigt war und sie deshalb nicht bemerkt hatte. »Lola«, flunkerte sie, weil sie den Namen in einem Roman gelesen hatte. »Lola McGoneagle.«
Er lächelte wieder, lehnte sich gegen das Treppengeländer und betrachtete sie. »Nun, Miss Lola«, meinte er. »Ich bin mächtig froh, Ihre Bekanntschaft zu machen. Es war ein langer Weg von Texas rauf.«
Emmeline schluckte hart. »Oh«, murmelte sie benommen.
Er grinste. »Darf ich Ihnen einen Drink spendieren?«
Emmeline zögerte und entschied sich dann, gefährlich zu leben. Ich werde später über diese schöne, gefährliche Begegnung in mein Tagebuch schreiben, dachte sie und empfand Vorfreude darauf. »Ja, antwortete sie. »Das wäre nett.«
»Was möchten Sie?«
Diesmal schluckte Emmeline nicht nur, sondern hustete fast. Grundgütiger! Er wollte wissen, welche Art Schnaps sie bevorzugte, und sie hatte das Zeug kaum probiert, höchstens mal ein wenig Brandy in ihren Eierflip am vergangenen Heiligabend gegeben. »Was immer Sie trinken«, wich sie aus. Als er sich abwandte, um zu dem eleganten Tisch zu gehen, der als Bar diente, riet eine innere Stimme Emmeline wegzulaufen. Auf dem Absatz kehrtzumachen, nach oben zu laufen und sich in dem anderen Salon einzuschließen. Stattdessen setzte sie sich auf eine Treppenstufe, fühlte sich ein wenig schwindelig und faltete die Hände.
Sie würde einfach warten, bis sie zu Atem gekommen war, und dann fliehen.
Doch der Texaner kehrte zurück und setzte sich auf die Treppe neben sie, bevor sie genug Mut gefunden hatte, aufzustehen und die Flucht zu ergreifen.
»Sind Sie lange im Geschäft?«, fragte der Fremde und überreichte ihr ein Glas, das mit mindestens einem doppelten Whisky gefüllt war.
Emmeline war nie auch nur geküsst worden, geschweige denn hatte sie die Dinge getan, die in ihrer Fantasie Becky und die anderen Frauen mit Männern taten, doch es war ihr peinlich, das zuzugeben. Eine weitere Lüge kam ihr so leicht über die Lippen, dass sie überrascht und beschämt war. »O ja«, behauptete sie und kramte in dem Repertoire von eingebildeten Emmelines, die sie im Laufe der Jahre entwickelt hatte. »Ich kam ursprünglich von Chicago. Dort bin ich auf der Bühne aufgetreten.« Es war immer ihr Traum gewesen - jedenfalls einer ihrer Träume -, Schauspielerin zu sein, eine berühmte und reiche Schönheit mit zahllosen lustigen Kumpanen. Sie sagte sich, dass Lola regelmäßig durch Europa und zu all den anderen Orten reiste, von denen Emmeline ebenso gelesen hatte, und die Huldigung von Königen, Prinzen und Potentaten genoss.
Er lächelte auf eine Art, die anscheinend ... nun, nachsichtig war, wie Emmeline fand, und sie war ein wenig gekränkt. »Ich verstehe«, meinte er. »Und jetzt machen Sie ... dies.«
Sie biss sich auf die Unterlippe.
Weitere Kostenlose Bücher