Zärtlichkeit, die du mir Schenkst
aufgegangen, und ihr Kopf schmerzte, als hätte sie ihn kurz vor der Ankunft des Zehnuhrzuges auf die Eisenbalmschienen gelegt. Als Erstes wurde ihr bewusst, dass sie allein in dem fremden Bett lag und nur ihre Unterwäsche trug.
Ihre Augen wurden groß, als die Erinnerung zurückkehrte; Gallenflüssigkeit stieg in ihrer Kehle hoch. Zusammenhanglose Erinnerungen wirbelten nach und nach durch ihren Kopf - das rote Kleid, der Mann aus Texas - wie war sein Name ? -, der Whisky. Sie taumelte zum Waschständer neben dem Fenster, blinzelte im grellen Tageslicht, beugte sich über das Waschbecken aus Porzellan und erbrach sich. Als es ihr wieder etwas besser ging, tastete sie hektisch ihre Brüste, ihren Leib und ihre Schenkel ab. Sie fühlten sich nicht anders an. Sie war nirgendwo wund, und als sie mit angehaltenem Atem die Bettdecke zurückschlug, sah sie kein Blut.
Vielleicht - bitte, lieber Gott - war nichts passiert.
Sie setzte sich auf die Bettkante, atmete langsam und tief und hielt beide Hände auf den Bauch gepresst, damit der Magen nicht wieder rebellierte. Und dann sah sie die Goldstücke, die ordentlich gestapelt auf dem Nachttisch neben der Öllampe lagen.
Emmeline schnappte nach Luft, sank zurück in die Kissen, riss die Decke über ihren Kopf und weinte, denn sicherlich war ihr die Unschuld geraubt worden.
Wie konnte sie ihre Dummheit Becky erklären? Ihre Tante hatte sich alle Mühe gegeben sicherzustellen, dass das Leben ihrer Nichte anders verlief als ihr eigenes. Emmeline wäre sogar vor langer Zeit auf eine Klosterschule fortgeschickt worden, wenn sie nicht gebettelt hätte, in Kansas City bleiben zu dürfen. Becky, stets gutherzig, hatte schließlich widerwillig nachgegeben. Diese Entscheidung würde sie jetzt bereuen.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Becky tauchte auf der Schwelle auf. Das Haar, zu tiefschwarzem Glanz gebürstet, fiel ihr offen über den Rücken, und sie trug einen lindgrünen seidenen Morgenrock. »Ich dachte, ich hätte gehört ...«, begann sie, doch dann schnappte sie nach Luft, und ihr Blick glitt von Emmeline zu dem schimmernden Stapel Münzen. »Guter Gott, Emmeline«, fragte sie krächzend, »was hast du getan ?«
Emmeline biss sich auf die Unterlippe. Sie war zu stolz und schämte sich zu sehr, um vor ihrer Tante zu weinen, und sie hatte keine Erklärung oder gar eine Entschuldigung parat. Sie saß nur dort, wünschte, sie wäre tot, und starrte auf das entsetzte Gesicht ihrer Tante.
»Wer war es?«, flüsterte Becky. Ihr Gesicht war weiß geworden, und sie zitterte. »Ich werde den Bastard persönlich erschießen ...«
Emmeline schüttelte nur den Kopf. Nachdem sie zu Boden geblickt hatte, fiel es ihr zu schwer, den Kopf wieder zu heben.
Becky zögerte einen Moment, dann stürmte sie in das Zimmer und gab Emmeline eine Ohrfeige. »Du dummes, undankbares kleines Ding!«, schrie sie und erstickte fast an ihrem Zorn.
Emmeline hielt eine Hand an ihre Wange. Nur Trotz hielt sie aufrecht; ohne ihn wäre sie zusammengebrochen wie ein Gebäude, das aus seinem Fundament gerissen war. »Du hast mich in einem Hurenhaus aufgezogen«, entgegnete sie. »Hast du wirklich gedacht, ich würde jemals eine Dame werden?«
Becky holte aus, als wollte sie Emmeline erneut schlagen, hielt dann jedoch mit der Hand in der Luft inne. »Geh mir aus den Augen«, flüsterte sie. »Ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen.«
Kapitel 2
E mmeline spähte aus tränenfeuchten, geschwollenen Augen auf die Anzeige auf der dritten Seite des Kansas City Star. Sie war die ganze Nacht wach gewesen, hatte abwechselnd geweint und gezürnt, und man konnte sagen, dass sie an diesem sonnigen Morgen alles andere als gut gelaunt war.
BRÄUTE GESUCHT, lautete die fett gedruckte Überschrift. Dann folgte der Anzeigentext mit vielen Ausrufezeichen.
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Emmeline schniefte, und ihre Fantasie regte sich. In ihrem Kopf summte es wie in einem Bienenstock voller aufgeregter Bienen. Fünf Minuten später drückte sie ein kaltes, feuchtes Tuch auf ihr
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