Zahltag
ist sie der glücklichste Mensch der
Welt. Ihrem zufriedenen Lächeln nach zu schließen, hat sie die Selbstmorde
bereits ad acta gelegt. Die Tasten ihres Computers scheinen eine ungeheuer
beruhigende Wirkung auf sie zu haben.
»Ach, nur einen einzigen kleinen Mord, Herr Kommissar!«, ruft mir
Dermitsakis verzweifelt entgegen.
»Es gibt doch so viele soziale Brennpunkte in Athen«, fügt
Vlassopoulos ergänzend hinzu, »so viele Migranten, die sich jeden Abend mit den
Rechtsextremisten Straßenschlachten liefern, so viele aufgebrachte Bürger, die
auf Politiker losgehen, dazu noch die Plakataktion, in der bekannte
Journalisten als Verräter aufs Korn genommen werden. Aber weit und breit kein
Mord, der uns von diesem Frondienst erlöst! So ein Pech!«
Dermitsakis knöpft sich Koula vor, die – mit Blick auf ihren
Bildschirm – in sich hineinlächelt. »Ja, du hast gut lachen, weil du mit deiner
Bildschirmarbeit aus dem Schneider bist. Lass dich bloß nicht dabei erwischen,
wie du Patiencen legst, sonst verpfeif ich dich.« Und zu mir gewendet sagt er:
»Ich hab sie schon öfter mal beim Kartenspielen überrascht.«
[17] »Das ist eben ein guter Ausgleich. Dabei kann ich viel besser
nachdenken«, rechtfertigt sich Koula.
»Kopf hoch, Leute. Bald haben wir’s geschafft«, sage ich, um ihnen
Mut zuzusprechen, da auch mir die ganze Aktion als Frondienst erscheint.
»Können Sie sich an den alten Wahlkampfslogan erinnern, Herr
Kommissar, in dem uns ›noch bessere Zeiten‹ versprochen wurden? Heutzutage ist
es genau andersrum: Egal, was man tut, man tut es, um gewappnet zu sein, denn
die Zeiten können nur noch schlimmer werden«, bemerkt Vlassopoulos. Und damit
sinkt auf dem Weg zurück zu meinem Büro meine Stimmung auf einen weiteren
Tiefpunkt.
Kaum habe ich einen Schluck von meinem Mokka getrunken, läutet das
Telefon. »Termin beim Chef«, vermeldet Stella, Koulas Nachfolgerin in Gikas’
Vorzimmer, kurz angebunden. Was das Aussehen betrifft, so kann sie Koula das
Wasser reichen, aber in Sachen Charme wirkt sie wie ein ungehobelter Klotz.
»Er ist drin«, blafft sie, ohne den Kopf zu heben, als ich an ihr
vorübergehe. Womit sich meine Einschätzung bestätigt…
Gikas sitzt vor seinem Schreibtisch und starrt auf seinen
Computerbildschirm. Seit er einen Dienst- PC besitzt, verbringt er den ganzen Tag vor der Mattscheibe. Anfangs unternahm er
ein paar Anläufe und griff selbst in die Tasten. Als er jedoch auf keinen
grünen Zweig kam, ließ er sich von Koula alles anfängertauglich einrichten und
ein hübsches Landschaftsfoto als Bildschirmschoner installieren. Seitdem ist
Gikas ein passionierter Naturfreund. Nicht, dass ich weniger unbedarft wäre,
aber ich habe wenigstens keinen [18] Antrag auf einen Dienst- PC gestellt, um mich bei Zimmertemperatur in Naturbetrachtungen
zu versenken.
»Was war denn mit diesen vier Rentnerinnen los?«, fragt er.
»Ohne Zweifel ein kollektiver Selbstmord«, antwortete ich und
liefere ihm eine ausführliche Darstellung.
Nach einer kleinen Pause folgt sein Kommentar: »Verstehen Sie mich
nicht falsch, aber: Hoffentlich bleibt’s bei den alten Leuten.«
»Wie meinen Sie das?«
»So, wie sich die Dinge entwickeln, werden es bald die Jungen sein,
die Hand an sich legen«, erklärt er trocken.
Im Grunde bestätigt er damit Vlassopoulos’ Vorhersage, dass die
Zeiten nur noch schlimmer werden können. Da ich keine weiteren melancholischen
Anwandlungen ertragen kann, erhebe ich mich zum Gehen, doch er hält mich
zurück: »Bleiben Sie, es gibt da noch etwas.«
Verwundert nehme ich wieder Platz und frage mich, was er mir
angesichts der öden Situation auf der Dienststelle eröffnen will. Ich vermute,
dass er mir irgendeine Aufgabe übertragen möchte, doch was nun folgt, ist so
unerwartet, dass es mich völlig aus dem Konzept bringt.
»Die neue Beförderungsrunde steht an«, sagt er. »Ich denke daran,
Sie für den Posten des Kriminalrats vorzuschlagen.« Er hält inne und fährt dann
fort: »Ich glaube, das könnte klappen.«
Als sich meine erste Überraschung gelegt hat, ringe ich nach Worten.
Was sagt man in solchen Fällen? »Danke, dass Sie an mich gedacht haben« etwa?
Oder besser: »Ihr Vorschlag ehrt mich«? Beides erscheint mir leer und schal,
daher [19] lasse ich mein verlegenes Schweigen für mich sprechen. Das ist
zumindest ehrlich.
»Normalerweise dürfte ich Ihnen das gar nicht sagen«, fährt er fort.
»Aber aus zwei Gründen tue ich es trotzdem.
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