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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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unsere Scheiße trocknen müssen,
um sie weiterzuverwerten. Zwar könnte ich mit Koula ein Gespräch anfangen, um
die Fahrzeit zu verkürzen, doch wenn man unter Schock steht, kriegt man den
Mund einfach nicht auf, weder für einen Bissen Essen noch für eine Plauderei.
    Auf der Pireos-Straße werden die Wagenkolonnen immer dichter, und ab
der Zentrale der Sozialversicherungsanstalt bewegen wir uns im Schritttempo
vorwärts. Obwohl der Verkehr in der Menandrou-Straße völlig zum Erliegen kommt,
ertönt weder Gehupe noch Gefluche. Geduldig warten die Fahrer, bis sie wieder
drei Meter bis zum nächsten Stop weiterfahren können.
    »Wieso ist heute so wenig los?«, frage ich Koula.
    »Die Leute ziehen den Kopf ein und ergeben sich in ihr Schicksal,
Herr Kommissar. Sie sagen sich: Nichts geht mehr. Warum soll der Straßenverkehr
da eine Ausnahme bilden?« Ihr Gedankengang erweist sich als irrig, sobald wir
den [14]  Omonia-Platz erreichen. Die Stadiou- und die Panepistimiou-Straße sind
zwischen Eolou- und Patission-Straße unpassierbar. Aus der Ferne dringt der
Widerhall skandierter Parolen an unsere Ohren.
    »Was gibt’s, Kollege?«, fragt Koula eins der uniformierten Opfer,
die hinter dem roten Absperrungsband ihren Dienst versehen.
    »Protestmarsch der Arbeiter- und Beamtengewerkschaft«, entgegnet der
Uniformierte knapp.
    »Ist der Alexandras-Boulevard
befahrbar?«
    »Ja, aber meiden Sie die Marnis-Straße. Da weiß man nicht, was
zwischen Polytechnikum und Gewerkschaftshaus auf einen zukommt. Besser, Sie
nehmen die Evelpidon-Straße.«
    »Nun, wie man sieht, ziehen nicht alle den Kopf ein«, sage ich zu
Koula.
    »Manche schon«, entgegnet sie tonlos. »Und manche andere schlagen
Dritten die Köpfe ein. Die Frage ist, was passiert, wenn wir alle gleichzeitig
mit dem Kopf durch die Wand wollen.«
    Ich folge dem Rat des Polizeibeamten und wähle das Gysi-Viertel, um
auf den Alexandras-Boulevard zu gelangen. Fünf Minuten später haben wir die
Dienststelle erreicht. Koula geht schon in das Büro meiner Assistenten, während
ich mir noch einen Kaffee in der Cafeteria besorge.
    »Müßiggang ist aller Laster Anfang.« So würde Adriani unsere Lage
kommentieren. Denn seit einem Monat ist der Selbstmord der Rentnerinnen der
erste Fall, den wir zu bearbeiten haben. Die anderen Dezernate kommen mit der [15]  Arbeit nicht nach. Sie sind vierundzwanzig Stunden im Einsatz, da alles an
ihnen hängenbleibt, von den Randalen bei Demonstrationen über den Bandenkrieg
unter den Zuwanderern in Ajios Panteleimonas bis zu den Aufläufen vor den
Privathäusern der Parlamentarier, wo ganze Horden bereitstehen, um die
Politiker auszupfeifen und zu beschimpfen. Morde sind momentan nicht an der
Tagesordnung, da andere Dinge Vorrang haben.
    Auch zu Hause herrscht Stimmungsflaute. Katerina hat ihr Praktikum
beendet und einige Fälle übernommen, bei denen es um das beschleunigte
Asylverfahren geht. Sie ist nicht gerade aus dem Häuschen vor Freude, da solche
Angelegenheiten nur schleppend vorangehen und ihre Tätigkeit weniger mit dem
Prozedere eines Gerichtsverfahrens zu tun hat als mehr mit der Arbeit der
Schreiberlinge, die früher vor dem Athener Rathaus ihre Tischchen aufstellten
und den kleinen Leuten ihre Anträge ausfüllten. Die übrige Familie, allen voran
Fanis, verabreicht ihr die bekannten Aufmunterungspillen à la »Das ist nur am
Anfang so« oder »Es wird schon werden«, doch Katerina scheint nicht wirklich
überzeugt.
    Da so wenig los ist, habe ich beschlossen, mir Adrianis Losung zu
eigen zu machen, die in solchen Fällen immer sagt: Bevor du dich langweilst,
veranstalte ein Großreinemachen. Das tue ich jetzt auch. Ich habe meinen Assistenten
verkündet, das sei jetzt die Gelegenheit, auf unserer Dienststelle Ordnung zu
schaffen. Als ich hinzufügte, dass wir dabei alten Ballast loswerden und alle
abgeschlossenen Fälle ins Zentralarchiv weiterreichen könnten, hielt sich ihre
Begeisterung in Grenzen. Meine übrigens auch, da ich mir dabei [16]  nicht wie ein
Kriminalhauptkommissar vorkomme, sondern wie ein Oberbuchhalter.
    Heute ist der dritte Tag unseres Großreinemachens. Als ich das Büro
meiner Assistenten betrete, schleppen sie gerade stöhnend und mit
hochgekrempelten Ärmeln Aktenordner durch die Gegend. Nur Koula ist guter
Dinge, da ich ihr angeordnet habe, das digitale Archiv zu durchforsten.
Daraufhin hat sie sich kopfüber in die Arbeit gestürzt. Sobald man sie vor
einen Bildschirm und eine Tastatur setzt,

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