Zahltag
die Frauen über den neuesten Klatsch in der Verwandtschaft.
Nach drei endlosen Stunden ging der Abend endlich zu Ende. Wolfgang und Brigitte verabschiedeten sich und stiegen ins Auto. Es war ein sehr lauer Abend, der Mond verbreitete ein angenehmes Licht.
„Bist du noch sauer ?", fragte Wolfgang.
„Ich fühle mich allein, Wolfgang.“ Brigitte starrte immer noch aus dem Fenster.
Er wusste, dass sie größere Probleme hatte , als er sich eingestand. Sie kam nicht damit zurecht, dass sie kein zweites Kind mehr bekamen. Er verstand sie einfach nicht. Sie hatten doch so viel Glück, dass sie Alexander hatten.
„Ich bin doch immer bei dir, Schatz.“ Doch er wusste, dass sie das nicht tröstete. Es stimmte auch nicht , denn schon vor Jahren hatte er sich von ihr abgewandt und sich Hals über Kopf in eine Affäre mit einer 25-jährigen Studentin gestürzt. Er wusste nicht, wie das geschehen konnte, doch es war so überwältigend, so überraschend, dass er unfähig war, sich dagegen zu wehren — eigentlich wollte er das auch gar nicht. Sie machte ein Praktikum bei ihm und sah umwerfend aus. Sie wusste genau
,
was ein Mann wollte , und Wolfgang genoss es jede Sekunde. Er war nur noch selten zu Hause, übersah die Veränderung seines Sohnes und kümmerte sich nicht mehr um Brigitte. Sie bemerkte es — natürlich. Es war unübersehbar. Wolfgang war wieder jung, er fühlte sich gut, sexy und wertvoll. Die traurigen und harten Zeiten seiner Ehe vergaß er während der zärtlichen Stunden mit Charlotte. Diese allerdings war nach einem Jahr wieder aus seinem Leben verschwunden. Sie ging nach Berlin, wollte die große Welt kennenlernen, nicht im kleinen Passau hängen bleiben. Er konnte sie verstehen. Als er nach diesem Jahr aufwachte, aus einem Zustand der Trance, bemerkte er, was er übersehen hatte: Sein Sohn war in der Pubertät, trank Alkohol und war nahe dran von der Schule zu fliegen. Seine Frau nahm immer mehr Tabletten und heulte sich in den Schlaf. Wie konnte er so blind sein? Was war geschehen? Er wollte seine Ehe retten und gemeinsam gingen sie zu einer Ehe- und Familienberatung. Alexander war davon wenig begeistert und blieb den Sitzungen meist fern — sie konnten ihn schließlich nicht zwingen.
Die Fahrt nach Hause verlief schweigsam. Als sie die Mühltalstraße hochfuhren, sahen sie, dass kein Licht im Haus brannte.
„Ist er immer noch nicht zu Hause?“ Brigitte war sauer.
„Ruf ihn doch mal auf dem Handy an.“
„Ja, das werde ich auch tun. Ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Jungen machen soll.“
Wolfgang sagte dazu lieber nichts, es wäre ohnehin falsch gewesen. In Erziehungsfragen waren sie sich noch nie einig gewesen. Doch Brigitte hatte Recht. Wenn das so weiterging, würde er noch auf die schiefe Bahn geraten und das wollten sie beide nicht.
„Nichts, er geht nicht ran.“
„Der wird gleich kommen.“
Wütend schlug Brigitte die Tür des Wagens zu.
Sie warteten bis zwei Uhr nachts, bevor sie die Freunde von Alexander anriefen. Brigitte schämte sich zu so später Stunde bei den Eltern anzurufen, also musste es Wolfgang über sich ergehen lassen. Niemand wusste etwas. Alle anderen Jugendlichen waren zu Hause.
Um fünf Uhr morgens verständigten sie dann die Polizei. Passau war ein kleines Nest , im Gegensatz zu den deutschen Großstädten, und demnach kamen nach dem aufgebrachten Anruf von Brigitte gleich zwei Polizeibeamte direkt zum Haus der Mosers. Es wurde nicht wie üblich 24 Stunden gewartet. Auch wenn die beiden Polizisten davon ausgingen, dass Alexander bald wieder auftauchen würde, wirkten sie sehr engagiert. Brigitte gab alles weiter, was sie wusste: Welche Kleidung ihr Sohn trug, wann er das Haus verlassen hatte, mit wem er Kontakt hatte … Wolfgang wusste nichts von diesen Dingen. Er war heute schon früh aus dem Haus gegangen und hatte Alexander nicht gesehen. So war es fast jeden Tag.
Als die Beamten nach einer Stunde wieder gingen, machte sich Brigitte eine Flasche Wein auf und nahm zwei Pillen. Wolfgang wollte etwas sagen, doch er tat es lieber nicht. Mehrfach versuchte er seinen Sohn auf dem Handy zu erreichen, doch er hatte keinen Erfolg.
Gegen Mittag machte sich dann auch Wolfgang größere Sorgen. Sie durchsuchten gemeinsam sein Zimmer, das aussah, als wäre der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Außer ein paar Pornos fanden sie nichts Interessantes. Auf dem Computer waren keine Gewaltspiele, nichts Verwerfliches. Sie fanden einige Gedichte
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