Zahltag
zwar nach einigen Wochen wieder raus gekonnt, doch sie wollte etwas durchziehen, das sie schon lange geplant hatte, und sie schaffte es. Trotz Beobachtern, trotz Therapie. In der Anstalt brachte sie sich um, dieses Mal erfolgreich. Kein Abschiedsbrief, kein letztes Wort, kein Wiedersehen mit ihrem Ehemann, der doch schon lange nicht mehr wirklich ihr Ehemann war. Niemand konnte den Schritt von Brigitte verstehen. Wieso brachte sie sich um, obwohl noch nicht feststand, was mit Alexander geschehen war? Jetzt war Wolfgang alleine. Alleine mit seiner Trauer und seiner Angst. In den Nächten träumte er von seinem Sohn. Waren es gute Träume, dann sah er ihn als Kind — im Urlaub, am Strand oder in den Bergen. Waren es schlechte Träume, dann träumte er von einem unendlichen Schrei, der aus Alexanders Kehle kam. Er schrie nach seinem Vater, der nicht antwortete, ihm nicht half. Wolfgang versuchte zu laufen, seinen Sohn zu finden, doch er kam nicht vorwärts. Fast täglich wachte er schweißgebadet auf. Er konnte und wollte die Augen nicht mehr schließen. Er schlief so wenig es ging.
Wolfgang durchforstete den Laptop seines Sohnes — wie so oft. Er fand keine Antworten. Im letzten Jahr hatte er alles versucht, um Alexander zu finden, doch es gab keine Anhaltspunkte. Das letzte Mal wurde er in der Sky-Bar Uferlos an der Inn-Promenade gesehen. Dort trank er eine kleine Cola und spielte Dart mit Freunden. Niemandem war etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Im Gegenteil, er schien sehr gut drauf gewesen zu sein. Er hatte an diesem Tag erfahren, dass er das Schuljahr nicht wiederholen musste, und freute sich laut seinen Freunden sehr darüber. Wolfgang biss sich auf die Zunge und fuhr seinen eigenen PC hoch. Er wollte seine E-Mails checken. Max schickte ihm täglich eine Zusammenfassung des Tages. Er freute sich immer sehr darüber, obwohl er es Max noch nie gesagt hatte. Das E-Mail Programm öffnete sich und es war eine Nachricht von Max im Posteingang. Aber das war nicht die einzige Mail, die er heute bekommen hatte. Den Absender kannte er nicht. Er öffnete die Mail. Hastig überflog er die Zeilen:
Das ist kein Spiel. Lösche diese E-Mail nicht, oder du wirst es bereuen.
Ich kenne dich. Ich weiß was du getan hast. Ich habe mir deinen Sohn geholt , um das zu rächen, was du mir angetan hast.
Wolfgang bekam schweißnasse Hände. Er fuhr sich übers Gesicht.
Ich habe eine Nachricht für dich. Du findest sie im Uferlos.
Du glaubst mir nicht? Dann öffne den Anhang.
Keine Signatur — nichts. Wolfgang scrollte nach unten und sah den Anhang. Es war ein Video. Er klickte es an und langsam öffnete es sich. Er hielt die Hand vor den Mund und sprang auf. Das konnte doch nicht wahr sein. Es dauerte nur etwa 15 Sekunden, doch das Video zeigte eindeutig seinen Sohn Alexander. Wolfgang musste sich erst einmal sammeln. Nervös ging er auf und ab. Er sah sich das Video immer und immer wieder an, doch es war echt. Zweifelsohne lag sein Sohn auf dem Boden auf einer Decke. Er schien unverletzt. Wolfgang wurde panisch, er war einem Nervenzusammenbruch nahe. Schweiß brach ihm aus und er wippte vor und zurück. Er traute sich nicht, noch mal auf das Bild zu sehen. Er musste sich beruhigen. Was hatte das alles zu bedeuten? Als er sich wieder etwas gesammelt hatte, widmete sich Wolfgang dem Text. Er war direkt an ihn gerichtet. Jemand wollte sich für etwas rächen. Er hatte schon öfter Drohungen bekommen, die waren aber bisher immer harmlos gewesen. Er handelte mir Zwangsimmobilien und ab und zu flippte einer aus. Doch das hier war etwas anderes. Es war persönlich. Er durchwühlte seine Vergangenheit, doch ihm fiel nichts ein.
Die Stunden vergingen, er konnte nicht schlafen. Um acht Uhr beschloss er , zu Fuß in die Stadt zu gehen und vor dem Uferlos zu warten. Eine halbe Stunde später stand er vor der kleinen Bar, die er sich im letzten Jahr angesehen hatte. Der Besitzer war sehr nett zu ihm gewesen und hatte ihm viele Details über seinen Sohn gegeben. Mit wem er immer unterwegs war und so weiter. Seither war er nicht wieder hier gewesen. Die Bar lag zwischen dem ehemaligen Kino Promenade Lichtspiele und dem Café Kowalski . Die Öffnungszeiten sagten ihm, dass die Bar erst um 15:00 Uhr öffnen wurde. So lange wollte er nicht warten. Er rief die Nummer an, die auf der Tür stand, doch es nahm niemand ab. Verflucht. Wolfgang wurde immer nervöser. Er brauchte einen Kaffee für die Nerven, also beschloss er im
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