Zahltag
brauchte eine Waffe und er musste sich ein anderes Hotel suchen, musste seine Spuren verwischen. Als er auscheckte, vergewisserte er sich bei derselben Empfangsdame, wie am Vortag, ob der Mann bis Sonntag in zwei Wochen bliebe. Sie bejahte. Er hatte also noch Zeit.
Wolfgang hatte nichts mit Waffen am Hut. Er wusste nicht , wie er an eine Waffe herankommen sollte. Zuerst wollte er sich ein neues Hotel in der Nähe suchen. Er stand mit seiner kleinen Reisetasche vor dem Wilden Pferd und wusste nicht wohin. Auf der anderen Seite, etwa zweihundert Meter weiter rechts, sah er ein Schild mit Zimmer zu vermieten darauf. Dort wollte er es versuchen. Es war anders, als das Wilde Pferd , wirkte heruntergekommen, anonymer, beängstigend — genau das, was er brauchte: Anonymität. Ein alter Mann saß hinter einem kleinen Tresen und sah fern. Er sah nicht auf, als Wolfgang den Raum betrat. Es stank nach abgestandenem Rauch und fettigem Essen.
„Hallo? Haben Sie ein Zimmer frei?“
„35 Euro die Nacht. Vorkasse.“
„Ich zahle für sieben Nächte.“
Der dicke alte Mann stand langsam auf und lächelte ihn an. „Das macht dann 245 Euro. Ich nehme nur Bargeld.“
Wolfgang legte ihm 250 Euro auf den Tresen. „Stimmt so.“
„ Zimmer Nummer sieben. Einfach den Gang entlang. Das hier ist der Schlüssel für die Eingangstür. Nach 22:00 Uhr ist hier niemand mehr.“ Er übergab ihm zwei Schlüssel und setzte sich wieder vor den Fernseher.
„Vielen Dank.“
Wolfgang ging den Gang entlang. Als er das Zimmer öffnete, war er überrascht. Der Raum war hell und sauber. Das Badezimmer hatte eine Dusche und es gab sogar einen Fernseher. Nicht, dass er einen benötigte, doch er war zufrieden. Der Mann hatte nicht einmal seine Daten verlangt. Das war gut. Er wollte sich für ein paar Stunden hinlegen. Jetzt, da er beschlossen hatte es durchzuziehen, war er ruhiger. Er würde seinen Sohn nicht im Stich lassen. Niemals.
Moldawien — Februar 2002
Mila war froh, dass der Mann der Hilfsorganisation gekommen war. Er war schon zum zweiten Mal hier gewesen. Dieses Mal hatte er seine kleine Tochter dabei. Sie hieß Anna. Sie war süß
,
fand Mila. Sie war etwas pummelig und hatte lockige Haare, die ihr ein engel artiges Aussehen gaben. Anna lachte über alles, war gut gelaunt und unbeschwert. Mila liebte dieses Mädchen vom ersten Augenblick an. Thomas gab ihr etwas zu essen und fragte sie, ob er sie nicht lieber in ein Heim bringen solle. Doch sie schüttelte energisch den Kopf. Er nickte und ließ sie in Ruhe. Er wusste, dass er nichts tun konnte. Sie würde ohnehin wieder weglaufen. Er konnte nur sehen, dass sie gesund und satt blieb. Mila sah dieses Mädchen an und wünschte sich so sehr, dass auch ihr Papa für sie da wäre. Aber sie wusste nicht, wer ihr Papa war. Sie kannte nur ihre Mutter. Aber die würde sie wahrscheinlich nie wieder sehen. Niemand wollte sie haben. Sie war nichts wert. Sie verfolgte das Mädchen mit seinem Vater und sah zu, wie er Essen an die anderen Kinder verteilte. Sie sah die hübsche Kleidung des Mädchens und die warmen Schuhe. Sie trug eine witzige Mütze mit zwei Ohren. Eine solche Mütze wollte sie auch gerne haben. Sie hatte aber nicht einmal eine normale Mütze.
Heute — Ein Jahr nach der Entführung
Um 21 :00 Uhr wachte Wolfgang total benommen auf. Er hatte geschlafen wie ein Stein und fühlte sich ausgeruht, aber unruhig. Er musste zusehen, wo er eine Waffe herbekam. Er stieg unter die Dusche und genoss das heiße Wasser. Fast hätte er nicht damit gerechnet, heißes Wasser zu haben, doch diese Absteige überraschte ihn erneut. Er zog sich frische Klamotten an und beschloss, es in einer Bar zu versuchen. Irgendwer musste doch wissen, wie man schnell an eine Waffe kam. Gerade noch sah er, wie der alte Mann vom Nachmittag die Tür abschloss.
„Entschuldigen Sie bitte?“ Er lief den Gang entlang und hielt den alten Mann auf.
„Ja?“
„Wo ist hier eine gute Bar?“
„Was meinen Sie mit Bar? Kneipe? Cocktailbar? Sie sind in Berlin. Hier gibt es Tausende Bars.“
„Eher so etwas wie eine Kneipe.“
„Gehen Sie einfach die Straße entlang. Am Ende ist eine.“
„Vielen Dank.“
Er machte sich auf den Weg zu der besagten Kneipe. Als er reinkam, sahen ihn drei Männer verdutzt an. Er passte wohl nicht hierher, doch er ließ sich nicht abschrecken. Er setzte sich an den Tresen und bestellte ein Bier. Ihm war gleich bewusst, dass er hier falsch war. Er trank sein Bier und
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