Zahltag
vor
ihren Fähigkeiten ziehen. Doch die Sache scheint mir ein bisschen weit
hergeholt. Wenn jeder Grieche, der sich mit der hiesigen Bürokratie anlegt, zum
Mörder würde, dann wäre die Bevölkerung des Landes rasch um fünfzig Prozent
dezimiert. Nassiotis freilich ist in Deutschland sozialisiert worden, und es
würde mich nicht wundern, wenn bei einem Deutschen, der mit der griechischen
Bürokratie konfrontiert ist, die Sicherungen durchbrennen. Kurz geht mir der
Gedanke durch den Kopf, bei Stefanidis von der Generaldirektion für
archäologische Stätten persönlich vorzusprechen, doch schließlich verwerfe ich
diese Idee. In technischen Fragen bin ich eine absolute Null, und aller Wahrscheinlichkeit
nach verstehe ich, was das von Nassiotis entwickelte System betrifft, nur
Bahnhof. Entscheidend ist letztlich nicht das technische Know-how, das
dahintersteckt, sondern wie Nassiotis auf das Verhalten der zuständigen
Behörden reagierte.
Keine Protestzüge, Streiks oder Auseinandersetzungen zwischen
Sondereinheiten und Demonstranten behindern meine Rückkehr auf die
Dienststelle. Alles ist so wie früher, in normalen Zeiten.
Kaum bin ich in meinem Büro, taucht Vlassopoulos auf. »Wir kennen
jetzt das Datum seiner Einreise«, verkündet er. »Er ist am 2. Mai nach
Griechenland gekommen, das heißt [393] knapp zwei Wochen vor der Auffindung von
Korassidis’ Leiche auf dem Kerameikos-Friedhof. Wegen möglicher weiterer Ein-
und Ausreisedaten recherchieren die Flughafenbehörden noch.«
Die beiden Wochen von seiner Einreise bis zum ersten Mord haben
offenbar bequem ausgereicht, um die Taten vorzubereiten und umzusetzen.
»Okay, sie sollen ruhig weiterprüfen, doch das allein genügt nicht«,
sage ich zu Vlassopoulos. »Wenn bei irgendeiner Fluggesellschaft eine weitere
Buchung auf den Namen Jerassimos Nassiotis auftaucht, soll man uns unverzüglich
informieren. Wir müssen seine Ausreise um jeden Preis verhindern.«
Damit entlasse ich Vlassopoulos, damit er weitermachen kann, und
rufe Koula zu mir. »Sind wir mit Nassiotis’ Verwandtschaft vorangekommen?«,
will ich von ihr wissen.
»Ich habe etwa fünfzehn namensgleiche Personen ausfindig gemacht und
überprüfe jetzt jeden Einzelnen. Bis jetzt war noch kein Treffer dabei.«
Diese ewige Warterei bei den Ermittlungen macht mich langsam
wirklich fertig.
[394] 52
Katerinas Anruf kommt wie gerufen. »Papa, ich möchte Mania
mal wieder sehen und habe sie heute Abend zum Essen eingeladen. Willst du nicht
mit Mama dazukommen, damit ihr sie näher kennenlernen könnt?«
Mich reizt weniger die Aussicht, Mania näher kennenzulernen, als der
Mattscheibe zu entgehen und keine Nachrichten gucken zu müssen. Denn Nassiotis
und der nationale Steuereintreiber würden mir keine Sekunde aus dem Kopf gehen.
Ich stelle den Bericht für Gikas fertig, um meinem Versprechen, ihn
auf dem Laufenden zu halten, nachzukommen, und fahre dann direkt zu Katerina.
Adriani muss ich nicht abholen, da sie etwas früher zu ihrer Tochter fahren
wollte, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Das ist mittlerweile zu einem
kleinen Ritual zwischen den beiden geworden: Die eine eilt der anderen zu
Hilfe, doch am Ende macht die Gastgeberin doch alles allein.
Da ich mich verspätet habe, sind alle anderen schon da. Mania ist
ähnlich wie auf der Dienststelle gekleidet und trägt Jeans, Bluse und
Sportschuhe.
»Wie schön, dass wir uns auch einmal außerhalb der Arbeit sehen,
Herr Charitos«, meint sie herzlich. »Da kann man tun, was man will, der
dienstliche Umgang unter Kollegen ist einfach schwierig.«
[395] »Du hattest immer schon Mühe mit Formalitäten«, sagt Katerina.
»Ja, und jetzt, da ich mit Drogenabhängigen zu tun habe, noch viel
mehr. Einerseits muss man Abstand wahren, andererseits tun sie einem in der
Seele leid.«
Dann fragt sie mich, ob ich mit dem nationalen Steuereintreiber
vorangekommen bin, und ich erzähle ihr, was ich über Nassiotis herausgefunden
habe.
»Damit haben Sie aber nur das Symptom gefunden, das ihn zu den Taten
getrieben hat«, sagt sie. »Die Ursache liegt, glaube ich, viel tiefer, doch die
ist für Ihre Arbeit gar nicht so wichtig. Fanis, der im klinischen Bereich
tätig ist, wird Ihnen bestätigen, dass auch wir meistens nur die Symptome
bekämpfen.«
»Da hast du in Klinischer Medizin aber gut aufgepasst«, neckt Fanis
sie.
»Ich hätte viel mehr behalten, wenn der Professor nicht so ein
grässlicher Wichser gewesen wäre.«
Plötzlich wird
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