Zahltag
ihr bewusst, dass sie gerade »Wichser« gesagt hat,
und sie schlägt die Hände vor den Mund. »Tut mir leid, ist mir bloß so
rausgerutscht«, rechtfertigt sie sich.
Katerina lacht auf. »Das ist ihr nicht bloß so rausgerutscht, so
redet sie immer«, klärt sie uns auf.
»Ich konnte ihn nicht leiden, weil er seine Vorlesungen lieblos
herunterbetete, nur um so schnell wie möglich in seine Praxis zu kommen und
Privatpatienten zu schröpfen. Ganz ähnlich ergeht es mir bei der Polizei. Ich
muss höllisch aufpassen, weil Ihre Kollegen, Herr Charitos, die
Drogenabhängigen immer so schnell wie möglich einbuchten wollen, um ihre Ruhe
zu haben.«
[396] »Wenigstens hast du ein sicheres Einkommen«, meint Katerina.
»Schau mich an: Ich setze mich für Asylbewerber ein, aber ich verdiene keinen
Cent. In meiner Verzweiflung hätte ich um ein Haar eine Stelle in Afrika
angenommen.«
»In Afrika?«, wundert sich Mania. »Was gibt es dort für griechische
Rechtsanwältinnen zu tun? Na ja, ich weiß, du hast nie den einfachsten Weg
gewählt.«
»Das UN -Flüchtlingskommissariat hat
mir einen Posten angeboten, aber ich habe mich schließlich dagegen
entschieden.«
Diesmal drückt sich Mania nicht ganz so derb aus: »Man muss schon
ziemlich bescheuert sein, um dort unten etwas zu suchen, wenn mittlerweile halb
Afrika in Griechenland lebt. Das ist ja, als würdest du auf Kreta wohnen und
sagen: ›Ich fahr zum Schwimmen nach Madagaskar.‹«
»Ja, Kind, sag ihr nur die Meinung,«, mischt sich Adriani ins
Gespräch. »Zum Glück hat sie es sich im letzten Augenblick anders überlegt.«
»Redest du bei der Polizei auch so?«, fragt Fanis.
»Dort reiße ich mich zusammen, aber hier rede ich, wie mir der
Schnabel gewachsen ist«, entgegnet ihm Mania belustigt.
»Wenn dich meine Kollegen im Krankenhaus hören würden, würden sie
Bauklötze staunen.«
»Ich bin nicht zur Polizei gegangen, weil ich da unbedingt
hinwollte, sondern weil mein Vater ein großer Anhänger der Junta war und gute
Beziehungen zur Polizei hatte«, bekennt Mania und bestätigt damit Katerinas
Einschätzung.
»Komm schon, jetzt sprich nicht so über deinen Vater«, wendet
Adriani ein. »Diese Zeiten sind vorbei.«
[397] »Es stimmt aber, Frau Charitou, er war ein
Hundertfünfzigprozentiger. General Angelis war sein großes Idol. Erinnern Sie
sich an General Angelis?«
»War das nicht der Generalstabschef der Obristen?«, frage ich sie.
»Genau. Also, mein Vater schwärmte in den höchsten Tönen von
Angelis. Der General dies, der General das… So ging es den ganzen Tag. Meine
Mutter und ich hatten bald begriffen, dass neben Angelis kein anderer General
der griechischen Streitkräfte bestehen konnte. Abgesehen davon war mein Vater
ein prima Typ. Meine Mutter liebte er von Herzen, und mir hat er das Studium
ermöglicht. Nun, er starb, bevor ich realisierte, wo diese Verehrung eigentlich
ihren Ursprung hatte.«
Adriani geht mit Katerina in die Küche, um ihr beim Servieren zu
helfen. Sie bringt die Teller herein und verteilt sie auf dem Couchtisch.
Hinter ihr folgt Katerina mit dem Essen. Sie hat einen Salat zubereitet, den
man als »Griechische Feld-, Wald- und Wiesenmischung« bezeichnen könnte, da er
alles Grünzeug enthält, das die heimische Flora hergibt, und dazu gibt’s
Schweinefleisch an Zitronensoße. Warum Katerina alle Speisen mit Zitronensoße
kocht, weiß vermutlich nur Adriani. Und das bedeutet, dass ich nie
dahinterkommen werde. Denn wenn ich sie frage, wird sie nur sagen, ihre Tochter
hätte sich ja geweigert, bei ihr anständig kochen zu lernen.
Obwohl Katerinas Gerichte nicht besonders abwechslungsreich sind, so
ist ihr Essen doch nicht nur »genießbar«, sondern richtig lecker. Meine letzten
Zweifel räumt Adrianis Kommentar aus: »Es schmeckt köstlich, Katerina«, sagt
sie. »Bravo!«
[398] Katerina lächelt verlegen. Wie jedes Mal ist sie stolz, wenn ihre
Mutter ihre Kochkünste lobt. »Wenn ich als Rechtsanwältin keinen Erfolg habe,
dann mache ich eine Garküche auf.«
»Da hätte ich einen besseren Vorschlag«, meint Mania.
»Ja? Was denn?«, fragt Katerina. Sie scheint etwas Lustiges zu
erwarten, aber dem Gesichtsausdruck nach ist es Mania ernst. »Wir könnten
zusammenarbeiten«, sagt sie zu Katerina.
Jetzt erst wird meiner Tochter klar, dass Manias Vorschlag kein
Scherz ist.
»Wie denn?«, fragt sie.
»Wir könnten zusammen eine Anlaufstelle für Drogenabhängige gründen.
Du übernimmst die juristische
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