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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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zusammen. Alle
schwarzweiß, aber Romy hat bei fast jedem Bild auf die Gegenstände gezeigt und
gesagt: »Ich weiß noch genau, wie das aussah, welche Farbe das hatte.« Keine
Ahnung, wo das alles geblieben ist. Ich weiß nicht, wir lebten ja eigentlich
viel primitiver als heute, mit Klo auf halber Treppe und Ofen und so, trotzdem
war man zufriedener, oder, man könnt sich auch ständig irgendwas kaufen, und wenns
bloß Borte zur Verschönerung des Küchenregals war, da musst ich drüber
schmunzeln, wie ich das noch mal so gesehen hab auf den Fotos, ich hab schon
immer gerne meine Wohnung fotografiert.
    Apropos: Letzte Woche war ich
in der Buchhandlung. Nur so, ich wollt mir mal wieder ein gutes Buch kaufen,
ich will eigentlich wieder mehr lesen. Aber glaubst du, du findest was?
    Schon gleich, wenn man
reinkommt, springen einen ja diese ganzen Herz-Schmerz-Schinken an. Ich hab ja
mal versucht, so was zu lesen, dieses eine, wo die alle so hell begeistert
waren, sogar meine Chefin, und auch die Dölz in der Buchhandlung hat mir das
wärmstens empfohlen, na. Nach zehn Seiten hatt ich die Nase voll. Hab ich beim
nächsten Ausmisten gleich zum An- und Verkauf gebracht, ich wollt das gar nicht
zu Hause rumstehn haben. Und dabei hatt ich die Dölz doch für ne intelligente
Frau gehalten. Jetzt hab ich die gar nicht erst gefragt, obwohl die mich gleich
in die Schmalz-Ecke lenken wollte. Ich hab so getan, als interessier ich mich für
die Kalender, aber nicht mal ein gescheiter Kalender! Weiter rumgucken braucht
ich gar nicht, da kommen ja bloß noch die Schulbücher, die Gartenbücher und
Kochbücher und Sprüche fürs Poesiealbum. Ich war schon am Gehen, da seh ich
das Buch gleich neben dem Ladentisch, A nklams G esichter. F otos von 1968 bis 1991. Zuerst hab ich mich über die
krummen Zahlen gewundert, und über den Namen: Ralf Holle. Ist das der Sohn,
dacht ich. Denn mein Herr Holle, der ist ja schon tot, und der hieß auch Edgar
mit Vornamen, das weiß ich, Edgar Holle. Aber von ihm sind die Fotos. Die hat
sein Sohn - siehst du, ich wusst gar nicht, dass der einen Sohn hat - der hat
die alle aufgehoben und sortiert nach dem Tod von seinem Vater, und der hat
buchstäblich bis fast zu seinem letzten Tag fotografiert, der könnt nicht ohne
Kamera, das schreibt auch sein Sohn im Nachwort, als wenn die Welt erst dann
richtig wirklich für ihn wurde, und als Kind hätte er das wohl gar nicht gut
gefunden, dass sein Vater ihn ständig geknipst hat, er war ja auch allein mit
ihm. Einundneunzig ist er gestorben, hat er auch nicht mehr viel von der Wende
gehabt, komischerweise, als das dann damals so kam, hab ich wirklich an ihn
gedacht, ich dachte, jetzt kann er das endlich, wie er immer gesagt hat, immer
so halb im Flüsterton, er möcht mal ganz woanders hin, mal ein ganz andres
Licht sehen, ich wusste immer gar nicht, was er eigentlich meint damit. An
Anklam hat er nie n gutes Haar gelassen, aber als seine Frau tot war, wollt er
weg aus Prenzlau, »ich könnt da nicht bleiben«, hat er gesagt. Und in Anklam
hatten sie eine Stelle für ihn, da ist er hergekommen achtundsechzig. Und hat
immer wieder Anklam fotografiert, die Leute, meistens bei der Arbeit, war ja
jeder auf irgendeiner Arbeit tagsüber. Ich musste das kaufen, das Buch. Ich
glaub, ich bin sogar n bisschen rot geworden dabei, weil ich ja auch gleich
das Foto von mir entdeckt hab. Komisch, das ist keins aus der Zeit bei ihm, da
steh ich zwar auch hinterm Ladentisch, aber schon im K urzwaren . Die Dölz hat mich angegrinst
beim Kassieren. »Sie sind da auch drin, harn Se schon gesehn?«
    »Nö«, hab ich gesagt, aber ich
könnt noch nie gut lügen. Das war mir auch irgendwie komisch, plötzlich in
einem Buch zu sein. Und auf seinen eigenen Fotos sieht man das irgendwie nie
so: dass man auch schon zu einer ganz andern Zeit gelebt hat, dass man ja dabei
war, und dass das total verschwunden ist. Erst zu Hause hab ich gemerkt, dass
mein Name nicht stimmt, dass da unter dem Bild steht: M arina S töwsand, HO-V erkaufsstelle
> K urzwaren <. Marina, das war ja meine
Freundin, die hat auch mit mir zusammen gelernt, aber die war dann in der S powa . Ich weiß nicht, wieso der
das verwechselt hat, oder ob das schon falsch beschriftet war von seinem Vater,
kann ich mir aber nicht vorstellen. Und das war auch später, da war ich schon
verheiratet. Ich seh schlecht aus, ganz dünn, nicht mehr das Mondgesicht wie
auf dem Foto, das er damals mit der reklamierten Kamera von mir

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