Zander, Judith
das nicht. So kommt mir das
auch nicht vor, wenn ich da draufdrücke. Es ist mehr wie der letzte Schritt
einer Arbeit; wenn ich was geschrieben habe, kommt mir das am Ende nie fertig
vor. Ich könnte das nicht, so wie Romy, ein Tagebuch nach dem andern füllen
und die irgendwo horten. Diesen ganzen Haufen von Wörtern dann am Hals haben.
Ich denk, man schreibt es auf, um es loszuwerden. Aber das kommt mir eher wie
eine Verdopplung vor, da hast du den ganzen Scheiß dann noch mal - schwarz auf
weiß. Wenn ich was aufschreibe, dann will ich es richtig loswerden. Ich
schreibe es auf, aus mir heraus, und dann kommt es weg. Das gehört doch dazu.
Das ist ein gutes Gefühl: ein weißes Blatt. Etwas ganz und gar geschafft zu
haben, fertiggebracht.
Die wollen natürlich, dass ich
hier weggeh, aber ich hab den besten Platz neben dem alten LPG-Tor, ich weiß,
dass keiner außer mir ein Recht dadrauf hat, da können sie noch so viel mit den
Armen fuchteln, das seh ich doch gar nicht. Die sollen doch nicht so tun, als
würd ihnen das nu plötzlich auf mich ankommen, die wollen sich doch nur wieder
wichtig machen, sogar Ecki und seine Speichellecker, die ja wohl nun gar nix
mehr zu melden haben, ich mein, wer hätt das Ding denn sonst anfackeln sollen,
kommt doch keiner weiter in Frage, oder. Ich kann stehen, wo ich will. Ich mach
doch nix, und die sind doch bloß neidisch. Zwar wissen sie gar nicht wodrauf,
aber ich: weil ich die Einzige bin, für die der Tag heute gut zu Ende geht.
Blendend sozusagen. Oh Mann. Wenn das hier schon blendend ist - was ist dann eigentlich
beschissen. Als ob ich das nicht weiß.
Einer versucht, mich
wegzuzerren. »Eh, Frollein, muss erst wat passiern?« Die Sorte kenn ich. Ich
reiß mich los und schubs ihn weg. Außerdem lass ich mich nicht mit »Frollein«
anquatschen. »Ja«, sag ich.
»Vorsicht!«, sagt er.
Vorsicht! Ich bin doch die Vorsicht in Person, ich bin so vorsichtig, dass ich
gar nicht da bin, kommt mir direkt komisch vor, dass der mich überhaupt sehen
kann. Ich seh jedenfalls jetzt erst, dass das der Bürgermeister ist. Ist er
doch, oder? Ist mir wurscht. Ich mein, wurde der echt gewählt oder was? Da war Vati ja noch
besser gewesen.
Ich kann sie jetzt hören, die
Feuerwehr aus Anklam. Früher hatte ich fast Angst davor, vor dem Moment, wo sie
an einem vorbeifahren und das Tatütata auf einmal ganz falsch klingt, so ein
Schreck, als hätte sich die ganze Welt verdreht. Und wer sagt eigentlich, dass
das nicht passiert. Es geht ganz schnell. Nur ein Moment, eigentlich gar nichts
dazwischen. Ich geh nach Hause. Vielleicht bloß, damit sie nicht an mir
vorbeifahren.
Von hier aus kann man nur die
eine Ecke von unserm Haus sehen, es sieht aus, als ob es sich bewegt. Beinah,
als ob es auch glüht, wie ein dunkeloranges Tier, das gerade aufwacht oder
gerade noch träumt, dieses Flackern, das von der Halle rüberscheint, wie
Zuckungen. Als ich näherkomm, entdeck ich plötzlich Oma hinter der Scheibe,
ihr Gesicht! Sie guckt einfach in die Dunkelheit raus, in meine Richtung, als
war das Absicht, mich so zu erschrecken. Wie gruselig das aussieht, bloß ihr
weißes Gesicht, um sie rum alles duster. Hat sie nichts Bessres zu tun, als da
hinterm Fenster zu hocken und mich zu beobachten? Ich werf ihr einen Blick zu,
aber sie rührt sich nicht mal. Sie sieht aus wie tot. Ist sie tot, sieht man so
aus, wenn man tot ist? Ich weiß, ich sollte jetzt rennen, schnell ins Haus
rennen, die Tür zu ihrem Zimmer aufreißen, die Tür, die nie ganz zu ist, damit
sie auch alles mitbekommt, damit keiner an ihrer Tür einfach so vorbeigehen
kann, was bin ich schon vorbeigeschlichen an ihrer Tür, und wenn sie das
mitkriegte, hat sie mich zwar nicht gerufen, aber wieder was zum Übelnehmen
gehabt, dann hat sie sich gar nicht mehr blicken lassen, und man musste doch
wieder zu ihr und fragen, »Oma, alles in Ordnung?«. Aber ich kann jetzt nicht,
irgendwie kann ich nicht mehr, ich krieg meine Füße kaum noch hoch, das reinste
Blei, oder als wenn der Weg klebt. Wenn sie tot ist, ist sie sowieso tot. Und
keiner hat das mitgekriegt. Vor morgen Mittag oder so würde das keiner merken,
und die ganze Zeit würde das so aussehen, als ob sie aus dem Fenster guckt.
Vielleicht war das umgekehrt gedacht, komisch, dass mir das nie eingefallen
ist. Vielleicht wollte sie durch den Türspalt gar nichts von uns mitkriegen,
sondern, dass wir was von ihr mitkriegen. Bloß was? Sie hat doch nichts
gemacht, nichts Interessantes,
Weitere Kostenlose Bücher