Zauber der Begierde
sich hin und
schaufelte die verstreut liegenden Schachfiguren zu einem Haufen zusammen. Sie
berührte sie wirklich nicht gerne. Kein Mensch konnte seine Kindheit in New
Orleans verbringen - einen Großteil davon zu Füßen eines kreolischen
Geschichtenerzählers, der hinter dem Waisenhaus lebte -, ohne ein klein wenig
abergläubisch zu werden. Es war ein antikes Spiel, ein Original aus der
Wikinger-Zeit; eine alte Legende besagte, daß es verflucht sei, und Adriennes
Leben war verflucht genug gewesen. Sie hatte das Spiel allein deshalb mitgehen
lassen, um es bei Bedarf schnell in Bargeld zu verwandeln. Geschnitzt aus
Walroßzähnen und Ebenholz, würde ein Sammler ein Vermögen dafür zahlen. Und
außerdem, hatte sie es nicht verdient, nach all dem, was sie wegen Eberhard
hatte durchmachen müssen?
Adrienne murmelte eine
farbenfrohe Verwünschung schöner Männer vor sich hin. Es war moralisch nicht
akzeptabel, daß ein so bösartiger Mensch wie Eberhard ein so angenehmes
Äußeres hatte. Die Gerechtigkeit der Poesie verlangte nach etwas anderem -
sollte sich im Gesicht eines Menschen nicht sein Herz widerspiegeln? Wäre
Eberhard äußerlich so abstoßend gewesen, wie er - was sie leider zu spät
erkannt hatte - im Inneren war, hätte sie sich am Ende nicht auf der falschen
Seite eines Revolvers wiedergefunden. Wobei Adrienne die schmerzliche Erfahrung
hatte machen müssen, daß jede Seite eines Revolvers die falsche war.
Eberhard Darrow Garrett war ein schöner, verführerischer,
betrügerischer Mann - und er hatte ihr Leben ruiniert. Die schwarze Dame fest
umklammert, gab sie sich selbst ein ehernes Versprechen. »Nie wieder werde ich
mich mit einem schönen Mann einlassen, solange ich lebe und atme. Ich hasse
schöne Männer. Ich hasse sie!«
Draußen vor den Glastüren der Cottail Lane 93 stand
ein körperloses Wesen, mit menschlichen Möglichkeiten weder zu entdecken noch
zu fassen, hörte ihre Worte und lächelte. Er hatte seine Wahl getroffen -
Adrienne de Simone war genau die Frau, nach der er gesucht hatte.
Kapitel 3
Adrienne hatte keine Ahnung, wie sie auf den Schoß
dieses Mannes gelangt war.
Eben noch war sie völlig
bei Sinnen gewesen - vielleicht ein wenig neurotisch, aber nichtsdestoweniger
fest von ihrem gesunden Verstand überzeugt -, und im nächsten Augenblick
schwankte der Boden unter ihren Füßen, und sie wurde wie Alice im Wunderland in
einen Kaninchenbau gesogen. Ihr erster Gedanke war, daß sie träumte: ein
lebendiger, schrecklicher, unterbewußter Raubzug durch einen barbarischen
Alptraum.
Doch das ergab alles
keinen Sinn; vor wenigen Augenblicken noch hatte sie Moonshadow liebkost
oder... sie hatte etwas getan... was? Sie konnte nicht so einfach eingeschlafen
sein, ohne sich daran zu erinnern!
Vielleicht war sie
gestolpert und hatte sich den Kopf gestoßen, und diese Halluzination war das
traumatische Ergebnis einer Gehirnerschütterung.
Oder vielleicht auch
nicht, befürchtete sie, als sie sich in dem höhlenartigen, rauchgefüllten Raum
umsah, der mit merkwürdig gekleideten Menschen bevölkert war, die eine Art von
verstümmeltem Englisch sprachen.
Jetzt hast du es hinter dir,
Adrienne, dachte sie nüchtern. Du bist schließlich doch auf der anderen Seite
gelandet, es dauert nicht mehr lang. Adrienne strengte ihre Augen an,
die sich merkwürdig schwer anfühlten. Der Mann, der sie umklammerte, war
abstoßend. Ein rülpsendes Untier mit dicken Armen und fettem Bauch, und er roch
unangenehm.
Gerade eben hatte sie
sich noch in ihrer Bibliothek befunden, oder etwa nicht?
Eine schmierige Hand
drückte ihre Brust, und sie schrie laut auf. Ihre Verwirrung wurde von einer
weiteren bestürzenden Untat übertroffen, als er absichtlich durch das
Sweatshirt ihre Brustwarze streifte. Selbst wenn dies ein Traum war, konnte sie
solche Handlungen nicht ohne Wiedergutmachung durchgehen lassen. Sie öffnete
den Mund, um ihm wüste Beschimpfungen entgegenzuschleudern, aber dieser Mann
war schlichtweg niederschmetternd. Zwischen dem Gestrüpp aus Haaren öffnete
sich ein rosafarbener Mund zu einem großen >Oh<. Himmel, der Mann hatte noch nicht einmal fertig gekaut, doch das war
kein Wunder - die wenigen verbliebenen Zähne waren nur noch verfaulte Stumpen.
Angeekelt wischte sich
Adrienne Hühnchenreste und Spucke aus dem Gesicht, als er losdröhnte, doch
hellwach und mit ehrlichem Entsetzen verstand sie die Worte, die er mit breitem
Dialekt hervorstieß.
Sie war eine
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