Zauber der Begierde
Göttergabe,
proklamierte er in den Raum hinein. Ein Geschenk der Engel.
Morgen würde sie
verheiratet werden.
Adrienne verließen die
Sinne. Ihr bewusstloser Körper zuckte noch einmal und erschlaffte. Die schwarze
Dame glitt ihr aus der Hand, fiel zu Boden und wurde von einem schlurfenden
Stiefel unter einen Tisch getreten.
Adrienne erwachte und blieb still liegen, die Augen
fest geschlossen. Unter ihrem Rücken spürte sie ein schweres, daunengefülltes
Oberbett. Könnte ihr Bett sein. Sie hatte alte Oberbetten gekauft und
aufarbeiten lassen, um sie auf ihr hüfthohes Queen-Anne-Bett drapieren zu
können. Sie liebte alte Dinge, keine Frage.
Sie schnupperte
vorsichtig. Keine merkwürdigen Gerüche von dem Bankett, von dem sie geträumt
hatte. Sie horchte. Nicht die Spur von diesem breiten Dialekt, den sie sich
noch vor kurzem eingebildet hatte.
Aber auch keine
Verkehrsgeräusche.
Sie spitzte die Ohren
und lauschte angestrengt. Hatte sie je eine solche Stille gehört?
Bebend atmete Adrienne
tief durch und befahl ihrem Herzschlag, sich zu beruhigen.
Sie warf sich auf den
schweren Kissen hin und her. War das der Wahnsinn? Angefangen mit einer dunklen
Vorahnung, das furchtbare Gefühl, beobachtet zu werden, und dann die rapide
Eskalation in allgemeine Wahnvorstellungen, um schließlich in einem Alptraum zu
enden, in dem ein übelriechendes, behaartes Monstrum ihre bevorstehende Vermählung
bekanntgab?
Adrienne preßte ihre
Augen noch fester zusammen, entschlossen, wieder zu Verstand zu kommen. Vor
ihrem geistigen Auge bildete sich die Silhouette eines Schachspiels ab; zur
Schlacht gerüstete Türme und erbitterte Damen ätzten sich reliefartig von innen
in ihre geschlossenen Augenlider, und es schien, als ob sie sich an etwas
Wichtiges erinnern müßte. Was hatte sie getan?
Ihr Kopf schmerzte. Es war ein dumpfer Schmerz,
begleitet von dem bitteren Geschmack alter Pennys in ihrer Kehle. Für einen
Moment kämpfte sie dagegen an, aber das Hämmern wurde stärker. Das Schachspiel
begann trügerisch in schwarzen und weißen Schemen zu tanzen und löste sich
dann zu einem weit entfernten, bohrenden Nebel auf. Es konnte nicht allzu
wichtig gewesen sein.
Adrienne hatte mit dringlicheren Problemen fertig zu
werden - wo zum Teufel war sie?
Sie hielt die Augen geschlossen und wartete. Gleich
würde sie das Schnurren eines BMW vernehmen, der die Cottail Lane
entlangrauschte, oder das Telefon würde sie aufscheuchen ...
Kein Hahn krähte.
In einer Minute würde sie Moonies fragendes Miiauf hören und ihren Schwanz im Gesicht spüren,
nachdem sie auf das Bett gesprungen war.
Sie hörte nicht das
Ächzen knarrender Scharniere und das Kratzen einer Tür, die über eine steinerne
Schwelle schabt.
»Mylady, ich weiß, Ihr seid wach.«
Sie riß die Augen auf und entdeckte eine stattliche
Frau mit silbrig-braunem Haar und rosigen Wangen, die am Fuße des Bettes stand
und sich die Hände rieb. »Wer sind Sie?« fragte Adrienne vorsichtig und vermied
es, irgendwo anders in diesem Raum hinzusehen als auf genau den Punkt, an dem
diese jüngste Erscheinung sich befand.
»Bah! Sie fragt, wer ich bin? Das Mädchen, das aus dem Nichts kam, wie der Blitz, wie eine Hexe, wenn's
beliebt, wünscht zu wissen, wer ich bin? Hmpf!«
Danach stellte die Frau einen Teller mit eigentümlich
riechendem Essen auf einen Tisch neben dem Bett und zwang Adrienne dazu, sich
aufzurichten, indem sie Kissen hinter ihren Rücken plumpsen ließ.
»Ich bin Talia. Man hat mich geschickt, mich um Euch
zu kümmern. Eßt. Ihr werdet die Hochzeit mit ihm niemals überstehen, wenn Ihr nichts eßt«, sagte sie tadelnd.
Nach diesen Worten und nach einem Rundblick über die
steinernen Mauern, die mit lebhaft bunten Wandteppichen behängt waren, die
Jagdszenen und Orgien zeigten, fiel Adrienne erneut in Ohnmacht - und dieses
Mal mit Genuß.
Als Adrienne wieder erwachte, sah sie sich umringt von
fast zwanzig Dienstmädchen, die Unterwäsche, Strümpfe und ein Hochzeitskleid
für sie bereithielten.
Die Frauen badeten sie
in parfümiertem Wasser vor einem steinernen offenen Kamin. Während sie in die
tiefe Holzwanne eintauchte, untersuchte Adrienne jeden Zentimeter des Raumes.
Wie konnte ein Traum so lebendig sein, so reichhaltig an Gerüchen, Berührungen
und Geräuschen? Das Badewasser roch nach frischem Heidekraut und Flieder. Der
steinerne Kamin hatte mit Leichtigkeit die Höhe von drei erwachsenen Männern -
er reichte bis zur Decke und erstreckte sich
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