Zauber der Begierde
während er mit ernster
Miene vor dem Feuer stand. Eine Woge von Schuld brach über ihr zusammen, als
sie daran dachte, wie er in jener Nacht zu ihr zurückgekommen war, nachdem er
mit dem Hawk gesprochen hatte, und sie ihm die kalte Schulter gezeigt und sich
wieder einmal in die gewohnte Sicherheit der Förmlichkeit zurückgezogen hatte.
Eine
leichte Anspannung in seinem Lächeln war der einzige Tadel gewesen, zu dem er
sich hatte hinreißen lassen.
Meine
Geliebte, hatte er sie genannt, doch sie hatte sich in Gedanken an ihren einsamen Sohn
geweigert, seine Liebe anzunehmen. Wie viel Zeit willst du noch verschwenden, Mädchen?
Sehr
leise löste Lydia ihre Flechten und befreite ihr wallendes, kastanienbraunes
Haar. Ihre Augen schweiften nicht eine Sekunde von Tavis' Rücken ab. Mit einem
Lächeln der Vorfreude warf sie ihren Kopf vornüber nach unten, kämmte sich mit
den Fingern das Haar zu zerzausten Locken, warf es dann über den Kopf zurück
und ließ es in einem weiten Wirrwarr über ihren Rücken fallen.
So
viele Jahre!
Sie
zupfte nervös an ihrem Kleid herum und blickte einen weiteren Moment forschend
auf seinen Rücken, dann zuckte sie mit den Schultern und öffnete ein paar
Perlmuttknöpfe an ihrem Kragen. Sie nahm einen tiefen, bebenden Atemzug, als
die Schmetterlinge in ihrem Bauch begannen, mit ihren seidigen Flügeln zu
flattern.
»Tavis?«
rief sie leise. Nachdem sie sich einmal entschieden hatte, war sie wild
entschlossen, auch nicht einen einzigen weiteren kostbaren Moment zu
vergeuden.
Tavis'
Rücken straffte sich, und er sah kurz über die Schulter zu ihr hinüber.
Sie
lachte fast laut auf, als er die Augen aufriß und herumwirbelte, um sie
anzusehen. Sein Blick fuhr über ihre wilde Mähne, ihren gelösten Kragen und
ihre geöffneten Lippen.
»Lydia?«
Sie
hörte hundert Fragen in diesem einen Wort und war entzückt von der Gewißheit,
daß sie ihm endlich die richtigen Antworten geben konnte. »Ich habe über etwas
nachgegrübelt, weißt du, alter Mann«, sagte sie, während sie sanft auf den
freien Platz neben sich auf der Bank klopfte. »Diese deine Hände...« Ihre
Stimme verstummte, und ihre Augen blitzten schelmisch. Kokett befeuchtete sie
ihre Unterlippe in einer Aufforderung, die älter ist als die Zeit.
»Ja?«
Seine Stimme hatte einen heiseren Beiklang.
»Da
sie ja so talentiert und stark sind...«
»Ja?« Seine Augenbrauen hoben
sich. Sein Atem verhakte sich in seiner Kehle, als Lydia diesen Händen einen
Vorschlag unterbreitete, der Tavis Mac Tarvitt bis in die tiefsten Tiefen
seiner Seele schockierte und beglückte.
Als Grimm in jener Nacht
schließlich das Dach verließ und in den Hauptsaal trat, unterdrückte er einen
Fluch und kroch auf allen vieren rückwärts durch die Tür wieder hinaus. In der Halle, ausgerechnet!
Lydia! Und Tavis!
»Ach! Die Liebe!« murmelte er zu
den Sternen, die über ihm in gelassener Herrlichkeit strahlten.
Drei Monate später schallte der
gesunde Schrei eines neugeborenen Jungen durch die Flure von
Dalkeith-Upon-the-Sea. Hawk Douglas saß mit stolzgeschwellter Brust an
Adriennes Seite auf dem Bett. Hawk hatte während der Wehen ihre Hand gehalten
und hatte abwechselnd sich selbst und sie verflucht, die es überhaupt
zugelassen hatte, daß er sie schwängerte.
Aber
es würde noch viele weitere solcher Zeiten geben, dachte Adrienne, denn sie
beabsichtigte, ein halbes Dutzend Kinder zu bekommen. Hawk würde sich halt
einfach an den Vorgang gewöhnen müssen, sie auf die Welt zu bringen.
Verwundert
strich Adrienne ihm über die Wange. »Du weinst ja«, flüsterte sie.
»Tränen
des Glücks. Du hast mir ein neues Leben gegeben, Adrienne - ein Leben, das ich
mir niemals hätte träumen lassen.«
Sie
sah ihn bewundernd an, und ihr Kind lag zwischen ihnen gekuschelt.
Adrienne
hätte noch stundenlang so verweilen können, aber in genau diesem Moment betrat
Grimm das Pfauenzimmer und gab den Wachen barsch Anweisungen. »Stellt sie hier
hin, neben das Bett.«
Hawk
sah über die Schulter. »Ah, die Wiege. Ich habe sie letzte Nacht
fertiggestellt. Aber ich denke, er wird sie die nächste Zeit nicht allzuoft zu
Gesicht bekommen.« Besitzergreifend zog er ihren kleinen Sohn in seine Arme.
»Er sollte eine Zeit bei uns schlafen, meinst du nicht auch?«
»Ich
glaube nicht, daß ich es ertragen könnte, ihn nicht bei mir zu haben, könntest
du es?«
Hawk
nickte zustimmend, während er seinen Sohn eingehend studierte. »Mein Kind«,
sagte er
Weitere Kostenlose Bücher