Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
Pamina.
»Dann haben
wir auch in der Wirklichkeit unseres Falles einen Vater. Es ist dieselbe Person,
die auch auf der Bühne für den Vater steht.« Er schob das Sarastro-Bild von Ferdinand
Hebenbronn nach unten, so dass es links neben dem von Emina zu liegen kam. »Vater
und Tochter in der Wirklichkeit«. Er tippte mit dem Finger auf beide Fotos.
»Aber die
entscheidende Frage ist: Wo bleibt in der Realität die dazu gehörige Mutter?«, führte
Carola weiter aus. »Wir können nicht einfach das Foto der Königin nach unten schieben,
so wie das Sarastro-Bild. Die Todorova steht nur in der Oper mit Pamina in Verbindung.
Aber sie ist in der Wirklichkeit nicht Eminas Mutter. Das ist eine andere Frau.«
Alle drei
starrten auf das Bild von Emina. Links war das Foto des leiblichen Vaters. Der Platz
auf rechten Seite war frei. Otmar Braunberger legte seine Hand auf die leere Stelle.
»Wer hätte darauf kommen können, dass eine Mutter, die nicht da ist, eine so große
Rolle spielt?«
Merana sah
kurz das Gesicht der Großmutter vor sich.
Es fehlt
eine Mutter.
Sie hatte es gespürt. Auch wenn
ihr sicher nicht bewusst war, dass diese Mutter aus der Vergangenheit ihr Leid auf
die Tochter übertragen hatte. Sie ließen die Bilder auf dem Tisch liegen und nahmen
wieder Platz. Der Kommissar überlegte kurz, ob er sich vom Automaten einen Kaffee
holen sollte. Es war fast fünf Uhr morgens. Carola bot ihm einen Schluck aus ihrem
Rotweinglas an, doch er lehnte dankend ab.
»Ich glaube
nicht, dass sie von Anfang an vorhatte, ihn umzubringen. Was denkt ihr?«
Otmar Braunberger
nahm den letzten Schluck aus der Bierflasche und schaute zu seinen Kollegen. Die
Chefinspektorin schüttelte langsam den Kopf.
»Ich auch
nicht«, bestätigte Merana. »Hilfreich, um der Wahrheit einigermaßen nahe zu kommen,
waren für mich besonders auch die Bemerkungen von Flora Stullermann in ihren Postings.
Sie führte zwar eine kecke Sprache, deren Sinn sich mir manchmal schwer erschloss,
aber sie hat Eminas Zustand immer wieder treffend beschrieben. Da wurde mir ihre
Rolle als traurige Außenseiterin immer klarer. Selbst bei der Begegnung in Hebenbronns
Garderobe, wo Flora schon allein von den Fotoaufnahmen abgelenkt wurde, hat die
junge Deutsche dennoch genau registriert, was mit Emina los war.«
»Ich erinnere
mich an die Stelle«, ergänzte Carola. »Und Emina hat wieder die Trauergurke raushängen
lassen und sich an den Cateringtisch verkrümelt.«
»Und am
Cateringtisch standen die Fruchtsäfte und die Gläser«, fügte Braunberger hinzu.
Merana dachte daran, wie er Flora Stullermanns Facebook-Eintragungen Passage für
Passage durchgegangen war.
»Beim Hinweis
auf den Cateringtisch hatte ich zum ersten Mal eine Vorstellung davon, wie es gewesen
sein könnte. Die Bestätigung bekam ich erst durch die Aussage von Fabienne Navarra.
Anabella Todorova hatte tatsächlich in Hebenbronns Garderobe zu einem Saftglas gegriffen
und damit den verhängnisvollen Ablauf eingeleitet.«
Otmar Braunberger
stand auf, näherte sich langsam dem Tisch und nahm Eminas Bild in die Hand. »Ein
bedauernswertes Mädchen. Sie traute sich zum ersten Mal in die Nähe ihres Vaters
und stand nur wenige Meter von ihm entfernt in dessen Garderobe.«
Merana versuchte
sich die Szene vorzustellen. Er sprach laut aus, was er dabei dachte. »Sie sah ihren
Vater, der nichts von ihr wusste. Emina war auf der Welt, weil dieser Mann ihre
Mutter vergewaltigt hatte. Und dann sagte der Kerl einen Satz, der sie wie ein Schwerthieb
tief im Innern treffen musste. Er hätte leider nie eine Tochter gehabt. Aber wenn
er eine hätte, dann müsste sie aussehen wie Flora! Ich glaube, das war der Knackpunkt.
Das hat sie nicht mehr verkraftet. Da griff sie in die Tasche und schüttete das
Phenobarbital, das wahrscheinlich für sie selbst bestimmt war, in einem Anfall von
Trauer und Wut ins Trinkglas.«
Alle drei
schwiegen. Sie würden nie erfahren, ob es tatsächlich so passiert war.
Eine der
Leuchtstoffröhren begann zu flackern, gab nach kurzem Knistern ihren Geist auf.
Es fiel ihnen nicht auf. Die Chefinspektorin ergriff nach einigen Minuten als Erste
wieder das Wort. »Dass die Todorova das Phenobarbital erwischt hatte, diesen Zusammenhang
hatte Emina sicher nicht hergestellt. Warum auch? Nachdem Hebenbronn noch lebte,
musste sie eher denken, er habe den Saft doch nicht getrunken. Vielleicht war sie
sogar erleichtert darüber.« Sie schaute kurz zum Kommissar, sucht dessen
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