Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
Augenkontakt.
»Und dann tauchen wir beide am Sonntag nach der Aidaprobe auf, und ihr wird plötzlich
mit erschreckender Deutlichkeit klar, was sie angerichtet hat.« Carolas Stimme war
ganz leise geworden. Sie fühlten alle drei mit dem toten Mädchen. In Meranas Erinnerung
stand Eminas Gesicht, aus dessen Augen im Verlauf ihrer Begegnung jeglicher Glanz
gewichen war, verdrängt vom blanken Entsetzen. Warum hast du nicht mit mir geredet,
Emina? Warum habe ich es nicht geschafft, dich zum Reden zu bringen? Die Wahrheit.
Die Wahrheit. Paminas Schmerz und Eminas Schmerz sickerten in sein Inneres.
»Wollen wir gehen?« Der Abteilungsinspektor
schaute die anderen fragend an.
Die nickten
nur, erhoben sich wortlos. Merana nahm die Bilder vom Tisch und brachte sie zurück
zur Tafel. Die Chefinspektorin und Otmar Braunberger räumten ihre Gläser zur Seite.
Sie waren eben dabei, alle drei gemeinsam den Raum zu verlassen, als die Tür aufging.
Thomas Brunner trat ins Zimmer. Er stellte die Skulptur aus Hebenbronns Haus auf
einen der Tische. »Du hattest recht, Martin. Damit hat er zugeschlagen. Die Rundung
passt zur Verletzung. Nachdem an der Stelle, wo er das Mädchen am Kopf traf, kein
Blut ausgetreten war, befand sich auch keines auf der Säule. Er hatte wohl keine
Veranlassung gesehen, die Skulptur sorgfältig abzuwischen. Das war unser Glück.
Wir haben einen Abrieb gemacht und genug DNA-Spuren der Toten gefunden.«
Gut, dass
wir am Freitag unsere Führung durch das Präsidium abgekürzt haben, dachte Merana.
Somit hatte Hebenbronn nicht mehr zur Gänze mitbekommen, was die Spezialisten unserer
Spurensicherung alles zu Wege bringen.
»Die Ausrede
mit dem Unfall stand ohnehin auf schwachen Beinen. Wenn Emina sich der Polizei gestellt
hätte, dann wäre vieles aus Hebenbronns Vergangenheit ans Licht gekommen. Allein
der Vorwurf der Vergewaltigung hätte gereicht, dass er seine künftige Karriere als
Operndirektor in den USA vergessen konnte. Die Amerikaner sind, wie wir wissen,
in solchen Fällen besonders heikel.«
Thomas Brunner
nahm die Skulptur in die Hand. »Also eilte er ihr nach und schnappte sich beim Hinauslaufen
den ersten Gegenstand, mit dem er zuschlagen konnte.«
Er reichte
das Beweisstück an Merana weiter. Der Kommissar drehte die Skulptur in den Händen.
Der Schlag mit dieser Marmorsäule hatte das Leben einer verzweifelten jungen Frau
ausgelöscht, getötet von ihrem Vater, der verhindern wollte, dass die Wahrheit über
ihre Mutter herauskam. Merana strich mit dem Finger sanft über die Gravur.
In diesen
heil’gen Hallen
kennt man
die Rache nicht.
Und ist
ein Mensch gefallen,
führt Liebe
hin zur Pflicht
Was für ein hehrer Anspruch. Daran
zu scheitern, war traurige Wahrheit.
Sie gingen schweigend nebeneinander
zum Parkplatz. Thomas Brunner verabschiedete sich. »Du hast uns noch gar nicht erzählt,
woher du die DNA-Probe von Hebenbronn hattest, Martin.« Ein Schmunzeln schlich sich
ins Gesicht des Kommissars. »Aus einem Reinigungswagen.« Die anderen schauten ihn
erstaunt an.
»Willst
du uns auf den Arm nehmen?«
»Nein. Ich
hatte mich erinnert, dass der Herr Kammersänger sich in ein Papiertaschentuch geschnäuzt
hatte, als er bei unserem Chef im Büro saß.
Als mir
das einfiel, wäre es fast zu spät gewesen. Gott sei Dank ist unsere Reinigungstruppe
bisweilen ein wenig lascher als jene vom Festspielhaus. Hätten die Damen am Freitagabend
nicht ein bisschen getrödelt, wäre mir der Beweis durch die Lappen gegangen. Die
Putzfrau hatte den Papierkorb schon ausgeleert. Aber ich fand das Taschentuch im
großen Plastiksack an ihrem Wagen. Sie wollte nur ungern damit rausrücken.« Die
Vorstellung, wie ihr Chef auf den Korridoren des Präsidiums mit einer türkischen
Reinigungsfrau um ein verschmutztes Papiertaschentuch rang, erheiterte die drei.
Die bedrückende Stimmung der vorangegangenen Stunden löste sich ein wenig auf. Thomas
Brunner klopfte Merana auf die Schulter. »Gut gemacht, Herr Kommissar. Solltest
du auf die Idee kommen, künftig ein Schnupftuch-Sonderkommando zu gründen, kannst
du auf mich zählen. Ich bin dabei.« Er lachte immer noch schallend, während er die
Tür seines großen Geländewagens öffnete. Sie schauten dem Chef der Tatortgruppe
nach, wie er schwungvoll die Ausfahrt zur Alpenstraße nahm. Bevor Carola ins Auto
stieg, hielt Merana sie kurz zurück. »Ich habe etwas für dich.« Er griff in die
Jackentasche und drückte ihr ein kleines Kuvert in
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