Zauberkusse
falschen auf meiner Wange. Und dann noch eine. Und noch eine. Ich bin doch wirklich zu dämlich. Habe ich allen Ernstes geglaubt, es könnte Gregor sein? Wie oft muss er mich noch enttäuschen, bis ich es endlich kapiere? Thekla schält sich derweil aus ihrer Katastrophe von einem Regenmantel und enthüllt einen goldenen Hosenanzug. Ihr gewaltiger Busen wogt noch immer auf und ab.
»Wo kann ich«, fragt sie, sich suchend umblickend. Ich nehme ihr den Mantel ab und hänge ihn an die Garderobe im Flur.
»Hier entlang, bitte«, sage ich schniefend und führe sie in meine kleine Küche, wo sie sich ächzend auf einen der himmelblauen Holzstühle fallen lässt. Der daraufhin ebenfalls zu ächzen beginnt. »Einen Tee vielleicht?«, bemühe ich mich um Gastfreundlichkeit und beginne, den Wasserkocher zu füllen.
»Gerne. Aber Kind, was haben Sie denn?«
»Was ich habe«, rufe ich aus und fahre zu ihr herum. »Was denken Sie, was ich habe? Warum war ich denn bei Ihnen? Warum habe ich denn diesen ganzen Quatsch gemacht mit der Kerze und den Zaubersprüchen und diesem dämlichen Beutel, der mich fast ins Gefängnis gebracht hätte?« Ich hole mein Zaubersäckchen aus der Jeanstasche hervor und schleudere es vor sie auf den Küchentisch. »Wohl kaum, weil in meinem Leben alles glattgeht, oder?« Madame Thekla sieht mich ob meines Ausbruchs erstaunt an und ich bekomme für den Bruchteil einer Sekunde ein schlechtes Gewissen. Sie kann doch nun wirklich nichts dafür. Aber ich brauche einen Blitzableiter. Ist mir auch egal, wenn es die Falsche trifft. »Ich will doch nur, dass er zu mir kommt. Und ich kann nicht aufhören, darauf zu hoffen. Und auch wenn ich an diesen Hokuspokus überhaupt nicht glaube, kann ich mich trotzdem nicht dagegen wehren, dass ich hoffe, dass er funktioniert. Ich habe Ihnen eine Menge Geld dafür bezahlt.« Erschöpft lasse ich mich auf den Stuhl Thekla gegenüber fallen und vergrabe das Gesicht in den Händen. Ich spüre eine Hand auf meinem Kopf. Thekla streichelt mir sanft über das Haar. Ich hebe den Blick und schaue sie hoffnungslos an. »Er funktioniert nicht«, sage ich leise. Sie streichelt noch ein wenig mein Köpfchen, bis ich mich traue, damit herauszurücken: »Könnte es sein, dass es daran liegt, dass …« Hier stocke ich kurz, es kommt mir doch ein wenig merkwürdig vor, dass ich darüber spreche, als wäre an dem ganzen Quatsch tatsächlich etwas dran. »… dass die Zauberknoten gelöst wurden?«
In diesem Moment geht ein Lächeln über Theklas rundes, faltiges Gesicht und sie schüttelt so energisch den Kopf, dass die roten Löckchen fliegen.
»Nein«, sagt sie feierlich, »ein einmal ausgesendeter Zauber ist nicht mehr aufzuhalten, es sei denn durch ein Gegenritual.«
»Tatsächlich?«, frage ich und wage ein zaghaftes Lächeln. Das würde ja bedeuten, dass … Ich komme nicht dazu, diesen erfreulichen Gedanken zu Ende zu denken, denn in diesem Moment verändert sich Theklas eben noch heiterer Gesichtsausdruck. Sie zieht sorgenvoll die Stirn in Falten und legt ihre rundliche Hand gegen die Wange.
»Ach herrje, ach herrje«, jammert sie, »ich wünschte, es wäre so einfach. Was ist denn genau passiert?«, erkundigt sie sich dann und ich erzähle ihr die ganze Geschichte.
»Es ist doch alles gut, oder?«, hake ich nach, als sie gedankenverloren das Säckchen in ihrer Hand wiegt. »Der Zauber wirkt nach wie vor. Gregor wird zu mir kommen?« Mit einem Ruck hebt Thekla den Kopf und sieht mich mit ihren eindringlichen, grauen Augen an.
»Ich bin froh, dass Sie mich kontaktiert haben«, sagt sie ernsthaft, »und dass mein Sohn da war, um Ihre Adresse entgegenzunehmen.«
»Das war Ihr Sohn?«, frage ich verblüfft. Sie nickt, geht aber nicht weiter darauf ein.
»Es ist etwas passiert. Etwas, das ich Ihnen dringend sagen muss. Was für ein Glück, dass ich wusste, wo Sie zu finden sind.«
»Um Himmels willen, was ist denn los?«, frage ich nun doch leicht beunruhigt. Langsam wird mir das Ganze unheimlich, dieser bohrende Blick, all diese rätselhaften Andeutungen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. »Nun reden Sie doch schon«, drängele ich und Thekla öffnet den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Der entschlossene Ausdruck in ihren Augen ist verschwunden, sie sieht sich in meiner Küche um und sagt in munterem Plauderton:
»Vielleicht hätte ich doch gerne vorher eine Tasse Tee.« Na schön. Obwohl meine Nerven zum Zerreißen gespannt sind, koche
Weitere Kostenlose Bücher