Zauberkusse
natürlich nicht. Engel …«, will er mich besänftigen, aber ich bin schon wieder auf hundertachtzig.
»Nenn mich gefälligst nicht Engel«, blaffe ich ins Telefon. »Bleib du ruhig zu Hause und pfleg deine kranke Frau. Bei mir brauchst du dich nicht mehr zu melden, bevor du dich nicht von ihr getrennt hast. Ist das klar?« Ich bekomme keine Antwort. Wütend schnappe ich nach Luft. Der wird doch nicht etwa aufgelegt haben? »Bist du noch da?«, frage ich etwas ruhiger.
»Ja«, kommt es knapp zurück.
»Und hast du mich verstanden?«
»Ja.« So wortkarg kenne ich ihn gar nicht. Ich wünschte, er würde ein bisschen mehr sagen. Aber er schweigt beharrlich, also bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen:
»Gut, dann sind wir uns ja einig.«
»Ja.« Dieser Typ macht mich wahnsinnig.
»Du meldest dich, wenn die Sache ausgestanden ist«, wiederhole ich.
»Ich habe es verstanden«, kommt es gereizt zurück, dann ändert sich sein Tonfall von einer Sekunde auf die andere: »Ich muss Schluss machen«, wispert er, »Ciao.« Ein Klicken in der Leitung sagt mir, dass er aufgelegt hat, noch bevor ich mich verabschieden konnte. Betroffen sitze ich auf meiner Couch und starre vor mich hin, noch immer den Hörer an mein linkes Ohr gepresst, aus dem mir das Besetzt-Zeichen entgegentutet.
»Ich liebe dich«, flüstere ich unglücklich und lasse das Telefon sinken.
Loretta findet es ganz richtig, dass ich endlich mal ein Machtwort gesprochen habe. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich glaube einfach nicht, dass man bei Gregor mit Druck irgendetwas ausrichten kann.
»Nur mit Druck, Luzie, und mit sonst gar nichts«, widerspricht sie mir, als wir am nächsten Tag gemeinsam ein Ladenlokal in der Stresemannstraße besichtigen. Unschlüssig sehe ich mich in dem weitläufigen, heruntergekommenen Raum um, während die wasserstoffblond gefärbte Maklerin Frau Evelyn Brunke, deren knallenges, himmelblaues Kostüm so gar nicht zu dem verbraucht aussehenden Gesicht darüber passen will, unaufhörlich auf mich einredet.
»Die Lage ist einfach einmalig, sehr verkehrsgünstig. Und die Küche ist in sehr gutem Zustand, ebenso wie die sanitären Anlagen. Der Quadratmeterpreis ist unschlagbar niedrig, sehen Sie nur, wieviel Platz Sie hier haben.« Ich nicke nachdenklich, aber mit den Gedanken bin ich leider nicht so richtig bei der Sache. Das macht aber nichts, wozu habe ich schließlich meine beste Freundin mitgenommen? Fragend sehe ich sie an, die sie prüfend den Raum mustert. Ihr Blick erfasst jeden Schwachpunkt sofort, ich muss ihm nur folgen. Und jetzt sehe ich es auch: Den feuchten Fleck links oben in der Ecke, ganz hinten hängt die Tapete in Fetzen von der Wand, der Holzfußboden ist durchgetreten und morsch, alles in allem wäre hier noch viel zu tun.
»Vom unmöglichen Zustand des Ladens mal abgesehen«, fällt Loretta mit erhobener Stimme ihr Urteil, »ist die Aufteilung eine Katastrophe. Es würde ein Vermögen kosten, in diesen rechteckigen Kasten so etwas wie Gemütlichkeit reinzubekommen. Und was Sie verkehrsgünstig nennen«, mit zwei Schritten ist sie an der Tür und öffnet sie, »nenne ich schlicht und ergreifend laut«, brüllt sie über den Straßenlärm hinweg, der von außen hereindringt. Das strahlende Lächeln der Maklerin wirkt jetzt etwas verkrampft:
»Aber die Fenster und Türen sind sehr gut schallisoliert. Man muss sie nur geschlossen halten.«
»Das ist wirklich einladend«, fertigt Loretta sie kurz ab. »Ich denke, wir können uns die Mühe sparen, Küche und Toiletten anzuschauen.« Damit ist sie auch schon draußen, während ich Frau Brunke verlegen die Hand hinstrecke.
»Vielen Dank für Ihre Mühe«, bedanke ich mich artig.
»Sie sind wirklich keine leichte Kundschaft«, äußert sie zaghaft, setzt dann aber ein tapferes Lächeln auf, »doch ich werde auch für Sie das richtige Ladenlokal finden. Ganz bestimmt.«
»Da bin ich sicher. Danke, Frau Brunke.«
»Danke, dass du deine Mittagspause geopfert hast«, sage ich, als wir uns kurz darauf mit zwei Milchkaffee auf den Stufen des Hamburger Rathauses niederlassen, um die Sonne zu genießen.
»Immer wieder gerne«, antwortet Loretta und nippt vergnügt an ihrem Becher. Kopfschüttelnd betrachte ich sie von der Seite.
»Ich werde nie verstehen, wie du so unfreundlich zu Leuten sein kannst.« Das soll kein Vorwurf sein, im Gegenteil. Aus meinen Worten spricht die allergrößte Bewunderung. Ich selber habe ja immer Angst, irgendwo
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