Zauberkusse
ich uns einen Rotbuschtee mit Karamellaroma und setze mich dann wieder zu Thekla an den Küchentisch.
»Also, warum sind Sie hier?«, frage ich und puste in meine dampfende Teetasse. Sie greift nach ihrer und klammert sich daran fest.
»Nun, es ist so …«, beginnt sie und pustet ebenfalls.
»Ja?«
»Ähm, nun, also … Wie soll ich es ausdrücken? Nicht so einfach, gar nicht so einfach«, druckst sie herum und macht mich völlig hibbelig. Dann hebt sie den Blick und lächelt mich plötzlich strahlend an: »Sagen Sie, wollen wir uns nicht vielleicht duzen?« Verblüfft sehe ich sie an.
»Von mir aus.«
»Ich bin Thekla.« Als ob ich das nicht wüsste.
»Und ich Luzie.« Sie hält mir ihre Tasse hin, um mit mir anzustoßen.
»Luzie«, sagt sie feierlich.
»Thekla«, antworte ich ungeduldig.
»Ist doch viel persönlicher so«, sagt sie zufrieden und nippt an ihrer Tasse. Irgendwie riecht mir das Ganze nach Ablenkungsmanöver. Thekla schlürft zufrieden ihren Tee und denkt gar nicht daran, mit ihrer Geschichte zu beginnen.
»Thekla?«, frage ich zaghaft.
»Ja?«
»Wolltest du mir nicht was sagen?«
»Oh, richtig. Ja. Na ja«, sie lacht verlegen auf. »Weißt du, ich bin nicht mehr die Jüngste …«
»Das sehe ich«, sage ich erstaunlich unhöflich, weil sie schon wieder anfangen will, abzulenken. »Also, was wolltest du sagen?« Sie sieht mich betroffen an und schüttelt dann missbilligend den Kopf.
»Jaja, es stimmt schon. Du Idiot sagt sich einfacher als Sie Idiot.« Langsam aber sicher fange ich an zu kochen.
»Ich habe nichts von Idiot gesagt«, sage ich bemüht ruhig, »aber mir fällt bestimmt etwas Entsprechendes ein, wenn du mir jetzt nicht sofort sagst, was los ist. Was ist das Problem?« Sie hält noch kurz an ihrem beleidigten Gesichtsausdruck fest, dann gibt sie es auf und grinst.
»Na schön. Ich hoffe nur, du wirst mir nicht böse sein.« Und dann erzählt Thekla mir eine haarsträubende Geschichte. Um es kurz zu machen: Ich bin einer Hochstaplerin aufgelaufen. Dieser ganze Hokuspokus mit gemurmelten Beschwörungen, handgezogenen Hexenkerzen, Zauberutensilien, angeblich magischen Kräutermischungen: Nicht mal Thekla selbst glaubt an diesen ganzen Kram. Sie zieht eine Show ab. Mit offenem Mund starre ich sie an, als sie ihr Geständnis ablegt. »Ich habe all meine Hexenutensilien von meiner Mutter geerbt. Und die wiederum von ihrer Mutter. Meine Großmutter hat ihre beiden Kinder alleine durchgebracht, nachdem ihr Mann im ersten Weltkrieg gefallen war. Mit der Zauberei. Ich bin also auch Hexe geworden. Wie meine Mutter und meine Großmutter. Ich habe ihr Buch der Schatten geerbt und jede Menge Rituale. Und es hat mir Spaß gemacht. Und verdient habe ich damit auch ganz gut.« Na, das glaube ich. Bei den saftigen Preisen. Wut steigt in mir auf. Außerdem fällt meine Hoffnung jetzt gerade wie ein Kartenhaus zusammen. Eben hat sie mir doch noch gesagt, dass der Zauber nicht aufgehalten wurde. Na klar, wenn es gar keinen gab. Verfluchte Wortklauberei! Ich bin wirklich sauer.
»Krieg ich jetzt mein Geld zurück?«, frage ich dreist.
»Nein«, sagt Thekla nur.
»Nein?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Tja, jetzt komme ich zu dem eigentlichen Problem.« Na großartig.
»Das da wäre?«
»Jaaa«, macht sie langgezogen und starrt versonnen in die linke, obere Zimmerecke. »Du wirst es nicht glauben. Ich habe es auch nicht geglaubt. Aber …« Sie beugt sich vor, bis ihr Gesicht ganz nah an meinem ist, und flüstert kaum hörbar: »Es funktioniert wirklich.«
Na, was denn nun? Funktioniert es oder nicht? Ich betrachte Thekla misstrauisch. Einmal in Schwung gekommen, redet sie jetzt wie ein Wasserfall. Erzählt mir von diversen Kunden aus der letzten Woche, bei denen die Zaubersprüche angeblich funktioniert haben. Die extra noch mal vorbeigekommen und sich tausendmal bei ihr bedankt haben.
»Das bin ich nicht gewöhnt, verstehst du? Das ist mir einfach noch nie passiert. Und in der letzten Woche gleich viermal.«
»Hmm«, mache ich unbestimmt und verschränke die Arme vor meinem Oberkörper. Mir kann man ja viel erzählen, wenn der Tag lang ist. »Was waren denn das für Zauber«, forsche ich nach.
»Nun, eine Frau zum Beispiel wollte unbedingt eine Beförderung in ihrer Firma erreichen, fürchtete aber, dass eine Kollegin diese bekommen würde. Nachdem sie bei mir war, hat sich besagte Kollegin bei einem Treppensturz beide Füße gebrochen und liegt seitdem im Krankenhaus.«
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