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Zauberkusse

Zauberkusse

Titel: Zauberkusse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Voosen Jana
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Körper, der sich wie gerädert anfühlt, aber ich weiß nicht genau, warum. Es ist nur ein unbestimmtes Gefühl von Unbehagen, das in absolutes Grauen umschlägt, wenn mir Augenblicke später bewusst wird, was los ist. Dass ich die große Liebe meines Lebens verloren habe. Meistens heule ich dann erstmal eine Runde, liege stundenlang im Bett, es gleicht einem Kraftakt, mich irgendwann von dort auf meine Couch und vor den Fernseher zu schleppen. Ich stiere auf die Mattscheibe, ohne etwas mitzubekommen. An Lesen, Essen oder gar Rausgehen ist nicht zu denken, stundenlange Heularien am Telefon mit Loretta sind die einzige Abwechslung in meinem Tagesablauf. Ein paar Mal hat es an der Tür geklingelt, was mich jedes Mal mehrere Jahre meines Lebens gekostet hat, aber es war nicht Gregor. Natürlich nicht. Auch diesmal ist er es nicht. Ich schleppe mich zu meiner Wohnungstür, spähe durch den Sucher und sehe direkt in das verzerrte Gesicht meiner neugierigen Nachbarin. Ihre Nase wirkt noch größer als sonst. Sie klopft mit den Knöcheln an meine Tür und ruft:
    »Frau Kramer, sind Sie da? Machen Sie die Tür auf!« Aber ich denke gar nicht daran. Auf Zehenspitzen schleiche ich zurück ins Wohnzimmer, während Frau Saalberg immer noch auf meine Tür einredet. »Ich höre doch Ihren Fernseher. Ist alles in Ordnung?« Mist, der Fernseher. Na ja, ist mir doch egal. Eine Zeit lang wummert es noch gegen meine Tür, dann hat sie endlich aufgegeben und ich falle zurück in meine todesähnliche Starre.
    Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergangen sind, als meine Türklingel erneut zu schrillen beginnt. Durchdringend diesmal, und endlos lang. Ich hätte nicht gedacht, dass neben der Trauer in meinem Herzen überhaupt noch Platz ist für ein anderes Gefühl, aber jetzt werde ich wütend. Erneut wummern Fäuste gegen meine Tür, was den letzten Zweifel ausräumt, dass es schon wieder meine nervige Nachbarin ist, die mich in meinem Liebeskummer stört. Was fällt der ein? Schwerfällig erhebe ich mich, um die Wohnzimmertür zu schließen. Dann stelle ich den Ton des Fernsehers noch ein bisschen lauter und tatsächlich kann ich damit das Geklopfe an meiner Tür weitgehend übertönen. Ich möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Im Fernsehen läuft gerade eine Werbung für Nudelsoße und ich muss daran denken, wie Gregor und ich abends vor meiner Schicht immer gemeinsam gekocht haben. Wie glücklich wir dabei waren. Und wie verliebt. Meistens sind wir dann irgendwann knutschend auf dem Küchenfußboden gelandet, während die Nudeln im Kochwasser matschig wurden und die Tomaten in der Pfanne vor sich hin kokelten. Aber schön war es! Schniefend greife ich nach der Haushaltsrolle, die ich in Reichweite auf den Couchtisch positioniert habe und putze mir geräuschvoll die Nase. Als ich die Augen wieder öffne, erschrecke ich mich so sehr, dass ich mit einem markerschütternden Schrei vom Sofa hüpfe. Mitten in meinem Wohnzimmer steht ein Mann in einer blauen Uniform.
     
    »Gott sei Dank, Sie leben«, stößt der Uniformierte hervor, in dem ich auf den zweiten Blick Michael Lange erkenne. Mein Herz pocht wie verrückt, zitternd wie Espenlaub lasse ich mich zurück auf mein Sofa fallen.
    »Müssen Sie mich so erschrecken? Was machen Sie in meiner Wohnung?«, frage ich heiser, als Frau Saalberg neugierig den Kopf zur Wohnzimmertür hereinstreckt.
    »Ach, Sie leben ja doch noch«, sagt sie und klingt dabei fast ein wenig enttäuscht.
    »Tut mir leid«, sage ich ironisch, während Herr Lange auf mich zukommt und sich neben mich setzt.
    »Geht es Ihnen gut«, fragt er mit einem besorgten Ausdruck und fasst mich behutsam am Arm.
    »Das wäre die Übertreibung des Jahrhunderts«, bringe ich mühsam hervor und greife schon wieder nach einem Haushaltspapier. Auch Frau Saalberg kommt jetzt näher und sieht sich um.
    »Aber wenn Sie nicht tot sind, woher kommt dann dieser Gestank, den man bis draußen riecht?«, fragt sie mit gerümpfter Nase und reißt erstmal unaufgefordert das Fenster neben mir weit auf. Nasskalte Herbstluft dringt in den miefigen Raum und erst jetzt fällt mir auf, dass ich tatsächlich nicht mehr gelüftet habe, seit … ja, seit Gregor diese Wohnung für immer verlassen hat. Als wollte ich seine Aura, seinen Geruch konservieren. Der hereindringende Sauerstoff weckt meine Lebensgeister allmählich wieder, zumindest so weit, dass mir das Chaos in meiner Bude unangenehm bewusst wird. Michael Lange sitzt noch immer neben mir

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