Zauberkusse
schwarzen Wimpern verfangen hat, aus dem Gesicht und wendet sich zum Gehen. Der jetzt heftiger fallende Schnee wirbelt um ihre zierliche Gestalt herum, wie sie mit sehr geradem Rücken den Parkplatz hinunterläuft und in einen mir wohlbekannten schwarzen BMW steigt.
»Sie wird ihn nicht aufgeben«, sage ich leise und sehe Loretta hilfesuchend an, die nur mit den Schultern zuckt.
»Tja.«
»Aber wieso nicht? Wieso hält sie an ihm fest? Du hast doch recht. Er ist ein Mistkerl.«
»Natürlich ist er das«, meint meine Freundin und legt tröstend den Arm um mich, »aber er ist ihr Mistkerl.«
Auf dem Rückweg redet Loretta auf mich ein wie auf ein krankes Pferd. In meinem Inneren sträubt sich alles gegen die Wahrheiten, die sie mir da so unverblümt ins Gesicht schleudert. Das kann doch alles nicht sein. Ist es doch nicht anders als bei den vielen dummen Frauen, über die ich früher nur den Kopf geschüttelt habe? Fängt was mit einem verheirateten Mann an und denkt tatsächlich, sie könnte gegen die Ehefrau gewinnen. Dabei ist alles, was er sucht, ein bisschen Abwechslung, ein bisschen Spaß außerhalb des ehelichen Schlafzimmers. Aber was er zu Hause hat, bei seiner Ehefrau, das wird er niemals aufgeben. Mein Herz krampft sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen. Ich will es nicht wahrhaben. Bei uns ist es anders. Wir lieben uns.
Mitten in der Nacht klingelt es bei mir an der Haustür. Schlaftrunken richte ich mich im Bett auf und sehe verwirrt um mich. Der fast volle Mond strahlt so hell zum Fenster hinein, dass ich mich problemlos in meinem Schlafzimmer orientieren kann. Die digitale Anzeige der Uhr neben meinem Bett springt gerade auf 2.43 Uhr um. Habe ich nur geträumt? Doch da schrillt schon wieder die Türglocke, länger diesmal und ich beeile mich, aus dem Bett zu kommen, bevor noch das ganze Haus aufwacht.
»Wer ist da?«, nuschele ich in den Hörer meiner Gegensprechanlage und drücke auf den Türöffner, nachdem Gregor sich zu erkennen gegeben hat. Ich bin zu müde, um vor den Badezimmerspiegel zu hechten und mein Äußeres zu kontrollieren. Habe mich vor einer guten Stunde endlich in den Schlaf geweint. Benommen lehne ich mich in den Türrahmen und beobachte, wie Gregor, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, zu mir hinaufkommt.
»Siehst du süß aus«, strahlt er mich an und nimmt mich in die Arme. Auf seiner wasserabweisenden Jacke perlen die Tropfen herunter und dringen durch mein dünnes T-Shirt an meine Haut. Anscheinend hat es noch immer nicht aufgehört zu schneien. Gregor lässt mich los und schüttelt seinen blonden Lockenkopf, dass es nur so spritzt, dann beugt er sich hinunter und zieht seine patschnassen Stiefel aus. Die Arme schützend um meinen Körper geschlungen, betrachte ich ihn von oben. Kalte Zugluft streicht über meine nackten Beine, während mir eine ganz andere Art von Kälte die Wirbelsäule hoch kriecht. Gregor erhebt sich wieder, lächelt und drängelt mich in die Wohnung, wo er seine Jacke auszieht und die Arme um mich schlingt. Er küsst meinen Hals und flüstert mir zärtlich ins Ohr:
»Ich habe dich so vermisst, ich konnte es einfach nicht mehr aushalten. Du fehlst mir so sehr. Ich denke jede einzelne Minute des Tages an dich.« Ich stehe unbeteiligt da, mit träge am Körper herunterhängenden Armen und sage gar nichts. Es dauert eine ganze Weile, bis Gregor merkt, dass ich nicht bei der Sache bin. »Was ist los«, fragt er leise und presst mich noch fester an sich. Ich hole tief Luft, nehme noch einmal mit allen Sinnen seinen Körper auf, seinen Duft in meiner Nase, wie es sich anfühlt, wenn er seine Brust an meine drückt und seine Haare meine Wange kitzeln. Dann mache ich mich von ihm los und trete einen Schritt zurück.
»Und? Hat sie dich jetzt rausgeschmissen«, will ich wissen, obwohl ich die Antwort schon kenne. Sie wird ihn niemals aufgeben. Er schüttelt den Kopf. »Hast du sie verlassen?« Erneutes Kopfschütteln. »Wirst du es tun?«, frage ich und bemühe mich, dem Zittern in meiner Stimme einigermaßen Herr zu werden. Bevor er aber den Mund aufmachen und mir wieder das Blaue vom Himmel heruntererzählen kann, fahre ich fort: »Ich will jetzt nicht hören: Ja, wenn der richtige Zeitpunkt da ist.« Ich mache einen Schritt auf ihn zu, mein Gesicht ist ganz nah an seinem und ich sehe ihm in die Augen: »Ich möchte, dass du einen Moment lang nachdenkst und mir dann eine ehrliche Antwort gibst«, bitte ich ihn. »Wirst du sie verlassen und
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