Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Doch als sie sicher vor Anker lagen und sie sich auf den ersten Tag Ruhepause seit Wochen freute, musste sie plötzlich feststellen, dass der Vorfall unter den Jägern sie sehr wohl betraf. Offiziell hatte sie dienstfrei. Die meisten ihrer Wache schliefen, aber sie wollte das sonnige und relativ ruhige Wetter ausnutzen, um ihre Kleidung auszubessern. Wenn sie diese Arbeit im trüben Licht der Laterne tat, schmerzten ihr nach einiger Zeit die Augen. Ganz zu schweigen von der stickigen Luft unter Deck. Sie suchte sich ein ruhiges Plätzchen an der windstillen Seite vor dem Ruderhaus. Sie saß im Windschatten, und wunderbarerweise schien sogar die Sonne. Sie hatte gerade angefangen, Stücke aus ihrer schäbigsten Hose zu schneiden, um damit die anderen zu reparieren, als sie hörte, wie der Maat ihren Namen brüllte.
»Athel!«, schrie er, und sie sprang auf die Füße.
»Hier, Sir!«, antwortete sie, ohne auf die Näharbeit zu achten, die ihr vom Schoß gefallen war.
»Mach dich fertig. Du gehst mit an den Strand. Du wirst den Häutern helfen. Ihnen fehlt ein Mann. Beeilung.«
»Ja, Sir!«, antwortete sie. Eine andere Antwort war nicht möglich, aber ihre Laune sank rapide. Trotzdem beeilte sie sich.
Sie schnappte sich ihre Näharbeit und nahm sie mit nach unten.
Die Hose würde eben warten müssen. Schnell streifte sie Fellsocken und Stiefel über. Die muschelübersäten Felsen würden nackten Füßen übel mitspielen. Sie zog sich die gestrickte Mütze fester über die Ohren und hastete die Treppe hinauf an Deck. Keinen Moment zu früh, denn die Boote wurden bereits von den Davithaken heruntergelassen. Sie sprang in eins und setzte sich an ein Ruder.
Die Matrosen bemannten die Ruder, während die Jäger ihre Schultern gegen die Gischt stemmten und sich voller Vorfreude angrinsten. Die Lieblingsbögen wurden sicher außerhalb der Reichweite des Wassers gehalten, während eingeölte Beutel mit Pfeilen in der schlammigen Bilge des Skiffs hin und her rollten.
Althea lehnte sich hart gegen ihr Ruder und versuchte mitzuhalten. Die Boote der Reaper glitten nebeneinander auf die felsige Küste der Insel zu, jedes mit Matrosen, Jägern und Häutern gefüllt. Sie bemerkte mit einem Seitenblick, dass Brashen auch am Ruder eines der Boote saß. Vermutlich war er dann an Land für die Matrosen verantwortlich. Sie würde darauf achten, dass sie ihm nicht auffiel. Außerdem arbeitete sie sowieso mit den Jägern und Häutern. Also mussten sich ihre Pfade nicht zwangsläufig kreuzen. Einen Augenblick dachte sie darüber nach, welche Aufgabe da auf sie wartete, doch dann tat sie es mit einem Schulterzucken als nutzlose Neugier ab. Sie würden es ihr noch früh genug mitteilen.
So wie das konkurrierende Schiff den besten Ankerplatz eingenommen hatte, hatten sich auch seine Jäger die Hauptinsel gesichert. Laut alter Tradition würden die Schiffe sich nicht gegenseitig die Jagdreviere streitig machen. Die Erfahrung der Vergangenheit hatte allen klargemacht, dass dies nur zu toten Seeleuten und weniger Profit führte. Folglich befand sich auf der Insel, an der sie an Land gingen, keine Menschenseele. Die felsigen Strande lagen verlassen da, bis auf einige sehr alte Seekühe, die in den flachen Tümpeln ruhten. Die erwachsenen Männchen hatten bereits die Wanderung zu dem Ort begonnen, wo diese Kreaturen überwinterten. Althea wusste, dass sie auf den sandigen Ebenen im Inneren der Insel die jüngeren Seekühe und die diesjährigen Nachkommen finden würden. Sie verweilten dort und fraßen die letzten Fische, damit sie Fett und Muskeln ansetzten, bevor sie ihre lange Reise antraten.
Die Jäger und Häuter blieben in den Booten, während die Ruderer über Bord ins flache Wasser sprangen und die Dollborde der Skiffs packten, um sie an Land zu schieben. Sie warteten dabei, bis eine Welle ihnen half, das Boot über die scharfen Felsen zu bringen. Althea watete mit den anderen an den Strand, und ihre nasse Hose und ihre Stiefel schienen die Kälte förmlich anzuziehen.
Am Strand wies man sie schnell in ihre Pflichten ein. Sie bestanden darin, das zu tun, worum sich die Jäger und Häuter nicht kümmern mochten. Ihr wurden alle zusätzlichen Bögen, Pfeile, Messer und Wetzsteine aufgebürdet. Sie folgte den Jägern schwer beladen ins Landesinnere. Es überraschte sie, dass die Jäger so unbesorgt einherschritten und dabei miteinander plauderten. Sie hatte angenommen, dass diese Jagd eine gewisse Verstohlenheit und Ruhe
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